Startseite

Startseite

Jugoslawien

Geschichten vom Werden und Vergehen eines Staates

Aus Anlass des 100. Jahrestages der Staatsgründung 1918, möchte die Rosa-Luxemburg-Stiftung wichtige historische Wegmarken Jugoslawiens nachzeichnen. Sich an ein breites, interessiertes Lesepublikum richtend, sind die hier versammelten Texte bewusst als Einführungen konzipiert, ohne wissenschaftlichen Apparat, dafür aber, den Kapiteln entsprechend, mit Leseempfehlungen.

Gegründet 1918 als Königreich und aufbauend auf der Idee einer Vereinigung der südslawischen Völker der Habsburger Monarchie und des Osmanischen Reiches, durchlebten sowohl die Idee des Jugoslawismus als auch der Staat Jugoslawien eine äußerst wechselvolle Geschichte. Von der konstitutionellen Monarchie zur Königsdiktatur. Von der Besatzung durch Nazi-Deutschland und das faschistische Italien im Zweiten Weltkrieg, zur Befreiung im Volksbefreiungskrieg unter Führung der Kommunistischen Partei Jugoslawiens. Vom treuen Verbündeten der Sowjetunion, zum Konflikt mit Stalin. Vom Versuch des Aufbaus einer selbstverwalteten sozialistischen Gesellschaft, zu den blutigen Kriegen der 1990er Jahre.

Jugoslawien bietet eine Vielzahl an interessanten politischen Momenten und Geschichten, weshalb diese Web-Dokumentation auch ein lebendiger Organismus sein soll - ein Ort, der die vorhandenen Inhalte und Kapitel kontinuierlich aktualisieren und ergänzen wird.


Die Webseite 100 Jahre Jugoslawien ist ein Projekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie wird kontinuierlich erweitert und ausgebaut. Ergänzungen und Hinweise sind willkommen.

Was ist Jugoslawismus?

Von Anja Vladisavljević

Der Jugoslawismus ist die Idee einer kulturellen, nationalen und/oder politischen Verbundenheit der südslawischen Völker, und diese Völker werden entweder als eigenständige Nationen, oder aber als eine Nation aufgefasst.

Die Nationalstaatsideen dringen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in jene Gebiete, die von südslawischen Völkern bewohnt werden. Da es sich um kleine und arme Völker handelte, die zudem vollkommen von den großen Imperien abhingen, entstand die Idee einer breiteren Vereinigung dieser Völker auf Grundlage der südslawischen Ideologie als Vorlage im Kampf um nationale Unabhängigkeit. Auch wenn die Dominanz der österreichischen und osmanischen Imperien in Südosteuropa für die Idee einer festeren Verbindung der Südslawen vorteilhaft war, war sie gleichzeitig auch ihr größtes Hindernis da die südslawische Bevölkerung durch die imperialen Grenzen getrennt voneinander lebte.

«Dies war der einzige europäische Raum, in dem 1.) die Epizentren hegemonialer Macht immer außerhalb seiner selbst lagen, und 2.) der von der Spätantike an niemals nur von einem Imperium kontrolliert wurde.»

Was ist Jugoslawismus?
Illustration: škart

Auch wenn die Idee einer Vereinigung der Südslawen durch einige Intellektuelle schon im 18. Jahrhundert antizipiert worden ist, wurde sie etwa auf dem Gebiet des heutigen Kroatien erst ab den 1830er Jahren ernsthafter diskutiert. Zwischen 1830 und 1850 befand sie sich noch in der Phase ihrer anfänglichen Rahmensetzung, es war noch nicht abzusehen was sie eigentlich darstellen sollte: umfasst sie lediglich die kulturelle Vereinigung der Südslawen, oder verstand sie sich auch als Projekt einer politischen Vereinigung; Vereinigung nur der in der Habsburger Monarchie lebenden Südslawen, oder Vereinigung aller Südslawen? Sollte eine besondere Nation errichtet werden, oder eine Dachnation mit Autonomie für ihre einzelnen Bestandteile? Wie sollte dieser zukünftige Staat eigentlich aussehen? Diese Fragen blieben entweder häufig unbeantwortet, oder aber verschiedene Akteure gaben jeweils verschiedene Antworten auf sie.

Führende Wiener Slawisten slowenischer und kroatischer Abstammung übten einen großen Einfluss auf den Prozess der Standardisierung südslawischer Sprachen aus.

Im südslawischen Raum wurden die Ideen nationaler Einigung überwiegend von intellektuellen und politischen Eliten entwickelt, die an den großen europäischen Universitäten studierten. Führende Wiener Slawisten slowenischer und kroatischer Abstammung übten einen großen Einfluss auf den Prozess der Standardisierung südslawischer Sprachen aus, vor allem auf die sprachliche Annäherung von Kroaten und Serben. Diese Annäherung fußte vor allem in der Auswahl einer gemeinsamen Mundart, dem štokavischen, was heute die Grundlage der Standardsprachen in Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro bildet.

Illyrismus

Auf dem Gebiet des heutigen Kroatien entwickelte sich die «illyrische Bewegung», eine literarische, kulturelle und politische Bewegung, innerhalb welcher sich die Idee einer südslawischen Vereinigung auf Grundlage der gemeinsamen Herkunft, gemeinsamen Sprache und des gemeinsamen Namens formierte. Der Schriftsteller und Sprachwissenschaftler Ljudevit Gaj war der bekannteste Ideologe dieser Bewegung. Er formte die kroatische Rechtschreibung und bestimmte die štokavische Mundart als Grundlage der Standardisierung der Sprache. Die Wahl dieser Mundart eröffnete die Möglichkeit einer Integration des Großteils der südslawischen Bevölkerung über ethnische Partikularismen hinweg, aber auch eine Verbindung mit Serbien und Montenegro, die ihrerseits immer weniger vom Osmanischen Reich abhängig waren. Die Entscheidung von Gaj für das štokavische schuf die Grundlage für eine gemeinsame serbo-kroatische Sprache, gleichzeitig war sie aber auch Deckmantel für expansionistische Bestrebungen zunächst des serbischen, später dann auch des kroatischen Nationalismus.
Ljudevit Gaj und seine Anhänger bezeichneten ihre Bewegung mit dem antiken Namen «illyrisch», benannt nach den Illyrern, einer Gruppe verwandter Völker die in der Antike auf dem Westbalkan lebten. Der gleiche Name wurde aber auch früher schon benutzt: «Illyrische Provinzen» war der Titel für jene Teile Kroatiens und Sloweniens, die sich kurzzeitig, bis zur Niederlage Napoleons, unter französischer Verwaltung befanden (1809-1813). Auch wenn es sich dabei nur um eine zahlenmäßig kleine Gruppe Intellektueller handelte, und Ambitionen hinsichtlich der Schaffung eines großen illyrischen Staates nicht bestanden bzw. gar nicht bestehen konnten, führte diese Idee zu großen Widerständen in Ungarn (mit dem Kroatien unter dem Dach der Habsburger Monarchie vereinigt war) und 1843. zum Verbot der Nutzung des illyrischen Namens und illyrischer Symbole.

Nationale Frage bei Serben und Kroaten

Im Fürstentum Serbien wurde die südslawische Idee durch die politische Elite Polens, und ihre gegen Russland und Habsburg gerichteten Tätigkeiten unterstützt. Der Militärgeneral František Alexandr Zach wurde gar mit einem Plan zur Befreiung der Südslawen beim serbischen Außenminister Ilija Garašanin vorstellig. Garašanin jedoch engte den Plan ein indem er seinen Hauptfokus auf die Lösung der serbischen Nationalfrage richtete.

Letztlich war Garašanins «Projekt eines großen serbischen Staates zu eng gefasst, um einen wirklich südslawischen Staat zu begründen.

Seine Überlegungen fasste er dann im 1844. veröffentlichten Dokument «Načertanije» zusammen. Anstatt sich für eine südslawische Einheit auszusprechen, erkannte Garašanin Serben und Kroaten als getrennte ethnische Identitäten an und sprach sich für eine territoriale Expansion Serbiens auf Kosten des Osmanischen Reiches aus, was eine Vereinigung mit Montenegro und eine Ausweitung auf Bosnien-Herzegowina umfasste. Der Jugoslawismus trat hier lediglich instrumentell auf, als Druckmittel um die Habsburger Monarchie zu destabilisieren. Letztlich war Garašanins «Projekt eines großen serbischen Staates zu eng gefasst, um einen wirklich südslawischen Staat zu begründen.» Hegemoniale Nationalprojekte traten aber auch auf kroatischer Seite auf. Der Hauptvertreter der «großkroatischen Idee» war Ante Starčević, dem zufolge «das gesamte Gebiet von den Alpen bis zum Schwarzen Meer nur von einem Volk bewohnt wird», doch dieses Volk waren weder die Illyrer noch die Serben, sondern die Kroaten. Starčević setzte sich für ein eigenständiges Kroatien ein, beruhend auf dem kroatischen Staatsrecht.

Das Jahr 1848 und der «Völkerfrühling» bedeuteten in vielen europäischen Ländern den Kampf gegen die alte Ordnung. Der ungarische Teil der Habsburger Monarchie kämpfte für seine eigene Autonomie innerhalb der Monarchie, während die Serben und Kroaten sich auf die Seite der Österreicher stellten. Nach der Niederlage der Revolution 1849-1849 und der Einführung eines neo-absolutistischen Regimes wurden auch alle nationalen Bewegungen innerhalb der Monarchie unterdrückt.

Jugoslawismus

Durch Bildung und Pflege ihrer gemeinsamen Kultur sollten die Südslawen miteinander verbunden werden.

Mit dem Ende des Absolutismus und der Neuregelung der Beziehungen zwischen der Habsburger Monarchie und Ungarn, die ihren Ausdruck im österreichisch-ungarischen Kompromiss von 1867 fanden, traten neue Trägergruppen und neue Variationen der südslawischen Idee auf. Einer der wichtigsten war der katholische Bischof Josip Juraj Strossmayer, der daran glaubte, dass Serben und Kroaten brüderliche Völker seien die zur großen südslawischen Gemeinschaft gehören. Seine Beziehung zur Monarchie war indes ambivalent. Zwar war Strossmayer weder von der österreichischen noch der ungarischen Regierung besonders angetan, gleichzeitig aber unterließ er es die Struktur der Monarchie zu hinterfragen. Er beschäftigte vor allem anderen mit der Vereinigung der südslawischen Völker innerhalb der Habsburger Monarchie, trat aber auch für die Befreiung der übrigen Südslawen im Osmanischen Reich ein. Durch Bildung und Pflege ihrer gemeinsamen Kultur sollten die Südslawen miteinander verbunden werden. Im Jahr 1866 schließlich gründete er in Zagreb die «Jugoslawische Akademie der Wissenschaften und Künste», mit dem Ziel, aus Zagreb das kulturelle Zentrum der Südslawen zu machen.

Die Beziehung zwischen der südslawischen Ideologie und den besonderen, nationalen Projekten der Kroaten und Serben wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts immer komplizierter. Sie durchdrangen und erweiterten sich zwar gegenseitig, doch standen sie auch in Konkurrenz zueinander. Von Vertretern der kroatischen und serbischen Nationalprojekte wurde der Jugoslawismus häufig nur instrumentalisiert. Der Belgrader Soziologe Jovo Bakić argumentiert, dass die Einigung der Südslawen innerhalb der Habsburger Monarchie für die kroatischen Ideologen des Jugoslawismus attraktiv war, während sich die Serben in dieser Konstellation gegen den Jugoslawismus wandten und auf der Gleichberechtigung zweier unterschiedlicher Völker insistierten. In Konstellationen jedoch, in denen Serbien zum «Piemont des zukünftigen Jugoslawien» hätte werden können, widersetzten sich die Kroaten dem Jugoslawismus, erblickten sie darin lediglich maskiertes «Großserbentum». Bakić bilanziert, dass «der kroatische Nationalismus jede jugoslawische Idee anerkennen konnte, insofern die Kroaten in einem solchen Rahmen die Mehrheit bilden würden, und vice versa, die Serben konnten jede Lösung der serbischen Frage im Kontext des Jugoslawismus annehmen, solange sie in einem solchen Jugoslawien die Mehrheit stellen.» Auch wenn erst mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch der Imperien, die auf dem Balkan dominierten, die Möglichkeit einer Materialisierung der jugoslawischen Idee entstand, unterlag ihr Schicksal der Rivalität des serbischen und kroatischen Nationalismus sowie den seit Jahrzehnten ablaufenden nationalen Integrationsprozessen. Das Problem der instrumentellen Indienstnahme des Jugoslawismus durch die Interessen einzelner Nationalismen (serbischer und kroatischer) kulminierte schließlich im Königreich der Slowenen, Kroaten und Slowenen (Jugoslawien), was zu neuen nationalen Friktionen und tragischen Konsequenzen geführt hat.

Anja Vladisavljević ist Journalistin und lebt in Zagreb.

Weiterführende Literatur:

  • Marie-Janine Calic (2010): Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck.
  • Dejan Djokić (2003): Yugoslavism: Histories of a Failed Idea, 1918-1992. London: C. Hurst & Co. Publishers.

Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen

Von Stefan Gužvica

Aus der zeitlichen Distanz von hundert Jahren vergisst man leicht, mit welcher Begeisterung sich die politischen Eliten der Serben, Kroaten und Slowenen ursprünglich an die Errichtung eines neuen südslawischen Staates gemacht haben. Das am 1. Dezember 1918 gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen wurde dabei von der serbischen Karađorđević-Dynastie angeführt, Serbien stand im Ersten Weltkrieg schließlich auf der siegreichen Seite. Auch besaßen die Serben bereits vor dem Krieg einen unabhängigen Nationalstaat, während Kroaten, Slowenen und eine bedeutende serbische Minderheit die südlichen Teile Österreich-Ungarns besiedelten.

In einer staatlichen Vereinigung sahen alle beteiligten Seiten vor allem die Wahrung gemeinsamer Interessen. Zum wichtigsten Interesse zählte dabei sicherlich der Schutz vor etwaigen territorialen Aspirationen der Nachbarn. Auf der einen Seite würden die Serben, wenn sie sich einem Jugoslawien nicht anschlössen, das erklärte Kriegsziel, alle Serben in einem Staat zu vereinigen, nicht erreichen können. Auf der anderen Seite riskierten die Kroaten und Slowenen, blieben sie einer jugoslawischen Vereinigung fern, große Teile ihres Territoriums an Italien zu verlieren. Gleichzeitig erleichterte aber auch die große Popularität der jugoslawischen Idee, die durch den Zusammenbruch des Habsburger Staates noch einmal erneuert wurde, eine erfolgreiche Vereinigung.

Zentralisierung oder Föderalisierung

Dennoch kristallisierte sich recht rasch heraus, wie unterschiedlich die Erwartungen eigentlich waren. Der jugoslawische Staat setzte sich nämlich aus viel mehr ethnischen Gruppen zusammen, als nur aus Serben, Kroaten und Slowenen. Die ethnische Partikularität der Montenegriner, Mazedonier und slawischen Muslime war noch nicht anerkannt, und der Staat hatte auch signifikante, nicht-slawische Minderheiten, allen voran Deutsche, Ungarn und Albaner.

Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen
Illustration: Vuk Palibrk

Die Verfassung des Königreiches schrieb einen zentralisierten und unitaristischen Staat fest, unter der Vorannahme, dass die Südslawen eine Nation mit lediglich drei verschiedenen Namen darstellen, das deren Differenzen minimal seien und sich im Laufe der Zeit auflösen würden. Die Grenzen eines solchen Modells sollten jedoch sehr bald sichtbar werden. Der Prozess distinktiver ethnischer Identitäten von Serben, Kroaten und Slowenen war 1918 nämlich überwiegend abgeschlossen. Der Versuch, diese Differenzen durch eine übernationale Identität zu überbrücken, war lediglich in kleineren Intellektuellengruppen erfolgreich. Eine jugoslawische Massenbewegung war schwer realisierbar, da der Großteil der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung schon vor dem Aufkommen des Nationalbewusstseins konfessionell voneinander getrennt war.

Der Versuch, diese Differenzen durch eine übernationale Identität zu überbrücken, war lediglich in kleineren Intellektuellengruppen erfolgreich.

Was die ganze Sache noch erschwerte war der Umstand, dass das unitaristische jugoslawische Modell in der Praxis eine politische Hegemonie der Serben begünstigte, die sich wiederum auf der Dominanz der serbischen politischen Eliten und der Armee gründete. Zur Zeit der Verfassunggebenden Nationalversammlung (1920-1921) etablierte sich eine effektive Teilung zwischen zentralistischen serbischen Parteien, unterstützt durch die Muslime, und föderalen kroatischen und slowenischen Parteien, sowie Republikanern und Kommunisten. Die zentralistische Belgrader Politik indes antagonisierte sehr bald selbst die bis 1918 in Österreich-Ungarn lebenden Serben, und die meisten von ihnen unterstützten daraufhin den Föderalismus. Die kroatischen Nationalisten, angeführt durch die Kroatische Bauernpartei [Hrvatska seljačka stranka ‒ HSS), avancierten dabei zu den größten Kritikern des Zentralismus, auch aufgrund des Umstandes, dass Kroatien innerhalb der Habsburger Monarchie über signifikante Rechte verfügte und im Zentralismus einen Verlust seiner Staatlichkeit erblickte.

Politische Instabilität und Königsdiktatur

Die Unfähigkeit zum Kompromiss war während der 1920er Jahre eine unerschöpfliche Konfliktquelle, die zentralistisch orientierten serbischen Parteien saßen nahezu durchweg an den Schalthebeln der Macht, während die Heterogenität der Opposition einen effektiven Widerstand erschwerte. Das Land war instabil und politisch blockiert, unfähig zwischen den konkurrierenden Nationalitäten und sozialen Gruppen zu vermitteln. Ihren Kulminationspunkt erreichten die Gegensätze im Juni 1928, als ein serbischer Parlamentsvertreter von der nationalistisch-monarchistischen Radikalen Volkspartei [Narodna radikalna stranka] drei Abgeordnete der HSS erschoss, unter ihnen auch deren Vorsitzenden Stjepan Radić.

Im Grundsatz versuchte der König, die unitaristische Idee einer einzigen jugoslawischen Nation durchzusetzen

Dieses Ereignis veranlasste wiederum König Alexander dazu, die darauf folgende politische Krise dadurch zu lösen, indem er die Nationalversammlung und die Verfassung suspendierte und am 6. Januar 1929 eine auf ihn zugeschnittene Königsdiktatur proklamierte. Der Staat wurde im Oktober 1929 dann offiziell in «Königreich Jugoslawien» umbenannt, und administrativ nach geografischen, weniger nach ethnischen Linien aufgeteilt. Im Grundsatz versuchte der König, die unitaristische Idee einer einzigen jugoslawischen Nation durchzusetzen, den Zentralismus zu stärken sowie jegliche Versuche einer nationalen Distinktion von Serben, Kroaten und Slowenen zu unterdrücken. Auf lange Sicht jedoch vertieften diese Maßnahmen die nationale Spaltung nur zusätzlich.

Strukturelle Ungleichheiten

Auch ökonomisch und sozial ging es dem Land nicht gut. Das Königreich plagte sich mit einer extrem ungleichmäßigen regionalen Entwicklung und erheblichen Klassenunterschieden herum, die mindestens so viel Spannung erzeugten wie die nationale Frage. Dennoch waren die meisten Parlamentarier vor allem mit nationalistischer Politik als mit der sozioökonomischen Entwicklung des Staates beschäftigt. Die sich selbst erhaltende Staatsbürokratie war aufgebläht, ineffizient und korrupt, das Königreich hoch verschuldet und den Kapitalinteressen des Auslandes ausgesetzt.

Im Vergleich zu Jugoslawien, erschien die Sowjetunion vielen wie ein Land der Hoffnung.

Angesichts dieser bedrückenden Bedingungen radikalisierten sich viele Menschen nach links. Zwar besaß das Land kaum eine Kapitalistenklasse oder eine Arbeiterklasse, aber es fehlte dennoch nicht an Bürgerinnen und Bürgern, die soziale Gerechtigkeit suchten: so gab es etwa eine halbe Million landloser Bauern, und ungefähr drei Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter lebten in einer prekären Lage, verrichteten saisonale Jobs sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Im Vergleich zu Jugoslawien, erschien die Sowjetunion vielen wie ein Land der Hoffnung. Berichte über glückliche und optimistische Sowjetbürger, die eine Welt ohne Ausbeutung schufen, strömten immer wieder ins Land und inspirierten die jugoslawischen Werktätigen.

Stefan Gužvica ist Historiker und lebt in Budapest.

Weiterführende Literatur:

  • Marie-Janine Calic (2010): Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck.

Die Gründung der Kommunistischen Partei Jugoslawiens

Von Lev Centrih

Der Start der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) war erfolgsversprechend. Durch die Fusion der radikalen serbischen und bosnischen Sozialdemokratie, und unterstützt durch die jugoslawischen Veteranen der Oktoberrevolution sowie anderer radikaler Sozialisten aus Slowenien und Kroatien, die ihre reformerischen sozialdemokratischen Parteien verließen, wurde 1919 in Belgrad die Sozialistische Arbeiterpartei Jugoslawiens (Kommunisten) [Socijalistička radnička partija Jugoslavije (komunista)] gegründet. Auf ihrem zweiten Kongress 1920 in Vukovar erfolgte dann die Umbenennung in Kommunistische Partei Jugoslawiens [Komunistička partija Jugoslavije - KPJ].

Zu Beginn der 1930er Jahre hatte die KPJ lediglich einige hundert Mitglieder, die meisten von ihnen saßen zudem in Gefängnissen.

Zu dieser Zeit hatte die KPJ rund 65.000 Mitglieder, wurde bei den ersten jugoslawischen Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung, bei denen sie insgesamt 12,4% der Stimmen erhielt, in den beiden größten Städten Zagreb und Belgrad sogar stärkste Partei. Mitglieder der KPJ engagierten sich im Rahmen mehrerer Streikwellen, insbesondere im Bergbau- und Eisenbahnsektor, was schließlich als Grund für das Verbot der Organisation durch die damalige Regierung angeführt worden ist. Das entsprechende Gesetz dazu, die Obznana, wurde am 30. Dezember 1920 verabschiedet, und die Mitglieder der KPJ wurden strengen Repressalien ausgesetzt. Die Zahl der Mitglieder fiel infolge dessen auf bald rund 1000 Personen, während sich die Parteiführung gezwungen sah, das Land zu verlassen. Angesichts der anhaltenden politischen Krise, verkündete König Alexander Karađorđević I. am 6. Januar 1929 seine Königsdiktatur. Überrascht von der neuen Linie der Komintern und ihrer These über die wachsenden Widersprüche des Imperialismus und einer aufziehenden Kriegsgefahr für die Sowjetunion, rief die KPJ zum bewaffneten Widerstand auf. Zwar fand der bewaffnete Aufstand nicht statt, doch das königliche Regime antwortete dennoch mit Massenverhaftungen von Kommunisten und Sympathisanten der KPJ. Zu Beginn der 1930er Jahre, und als Konsequenz der Komintern-Taktik sowie der daran anschließenden Verfolgungen, hatte die KPJ lediglich einige hundert Mitglieder, die meisten von ihnen saßen zudem in Gefängnissen.

Die Gründung der Kommunistischen Partei Jugoslawiens
Illustration: KURS-kolektiv

Illegalität

Aufgrund der antidemokratischen und repressiven Königsdiktatur, hatten legale, kommunistisch orientierte Gewerkschaften und Parteien nur begrenzten Erfolg.

In den 1930er Jahren balancierte die Partei zwischen illegalen und legalen Aktivitäten, was zu vielen Dilemmata führte. Was war die Priorität ‒ legale oder illegale Arbeit? Anders als die Sozialdemokraten, die in Bezirken organisiert waren, arbeiteten die jugoslawischen Kommunisten daran, geheime Betriebszellen zu errichten, und gegen Ende der 1930er Jahre waren sie auch in anderen Institutionen wie etwa den reformistischen Gewerkschaften aktiv. Aufgrund der antidemokratischen und repressiven Königsdiktatur, hatten legale, kommunistisch orientierte Gewerkschaften und Parteien nur begrenzten Erfolg. Dabei muss aber im Blick behalten werden, dass sich die KPJ in den späten 1930er Jahren innerhalb des reformistischen gewerkschaftlichen Dachverbandes, dem Vereinigten Gewerkschaftsverband Jugoslawiens mit seinen 150.000 Mitgliedern, eine einflussreiche Position gesichert hatte.

Nationalitätenfrage und der Kampf um Spanien

In der komplizierten Nationalitätenfrage benötigte die KPJ mehr als ein Jahrzehnt, bis sie eine feste Position beziehen konnte. Denn, war die nationale Frage in Jugoslawien nicht 1918 durch die Vereinigung von Slowenen, Kroaten und Serben gelöst worden? War es nicht möglich, Streitigkeiten über Nationen den bürgerlichen Eliten zu überlassen und sich stattdessen auf den Aufbau internationaler Arbeitersolidarität zu konzentrieren? Nationale Selbstbestimmung ist das Recht jeder Nation, aber bedeutet die Nation den Arbeitern und Bauern wirklich etwas? Als Stalin 1925 anlässlich einer Komintern-Debatte zur jugoslawischen Nationalitätenfrage intervenierte, bejahte er, im Gegensatz zum damaligen Generalsekretär der KPJ, Sima Marković, diese Frage.

In der komplizierten Nationalitätenfrage benötigte die KPJ mehr als ein Jahrzehnt, bis sie eine feste Position beziehen konnte.

Mit dem Aufkommen des Faschismus in Deutschland, sowie dem Anwachsen separatistischer und pro-faschistischer Bewegungen in Jugoslawien, begann die KPJ schließlich, die lenin`sche These nationalen Selbstbestimmung anzuwenden. Der nationale Befreiungskampf sollte Jugoslawien in eine demokratische Föderation von Nationen mit dem Recht auf Abspaltung transformieren. Für Kroatien und Slowenien wurden 1937 nationale kommunistische Parteien (Filialen der KPJ) gegründet, für Kosovo und Metohija wurde gar ein spezielles Distriktkomitee installiert. Dies war die Zeit der Volksfrontpolitik, und die KPJ versuchte, im Einklang mit der Komintern-Politik, mit reformistischen und bürgerlichen Parteien, die sich dem monarchistischen System widersetzten, zusammenzuarbeiten. Weitaus fruchtbarer war die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, patriotischen sowie studentischen Bewegungen. Die KPJ organisierte auch Freiwillige zur Verteidigung der spanischen Republik. An einem einzigen Tag im März 1937 wurden fast 500 junge montenegrinische Bauern, die sich den internationalen Brigaden anschließen wollten, von der jugoslawischen Polizei festgenommen. Insgesamt kämpften mindestens 1700 Jugoslawen in Spanien, über 800 von ihnen verloren dabei ihr Leben.

Organisationsprobleme

Die KPJ sah sich vor große organisatorische Probleme gestellt, bis zum Jahr 1940 war sie weitgehend zersplittert.

Die KPJ sah sich vor große organisatorische Probleme gestellt, bis zum Jahr 1940 war sie weitgehend zersplittert. Ihre Parteivorsitzenden, sowie die meisten ihrer aktiven Mitglieder waren in Paris, Wien, Spanien und Moskau verstreut, andere wiederum in jugoslawischen Gefängnissen oder an Orten, von wo die Kommunikation mit der Parteizentrale schlecht war. Diese Situation beförderte Fraktionskämpfe und Netzwerke, die sich auf einflussreiche Parteimitglieder mit guten Beziehungen zu im Ausland lebenden Genossinnen und Genossen konzentrierten. Moskau spielte dabei eine Schlüsselrolle ‒ bis 1937 unterstützte die Komintern die KPJ in einem erheblichen finanziellen und logistischen Umfang. Die Bemühungen der Komintern, die Basis der KPJ zu konsolidieren, waren zielstrebig, jedoch wenig erfolgreich da die Parteiführung mehrmals wechselte. Die großen stalinistischen Säuberungen zwischen 1936 bis 1939 führten auch innerhalb der KPJ zu unerbittlichen Fraktionskämpfen (beginnend mit der Festnahme und Liquidierung des Generalsekretärs Milan Gorkić im Jahr 1937). Der Schaden für die Partei war immens: 800 jugoslawische Kommunisten wurden in der Sowjetunion verhaftet, viele von ihnen wurden erschossen oder kamen in Arbeitslagern ums Leben. Schließlich wurde 1939 Josip Broz Tito, Teilnehmer der Oktoberrevolution und seit 1928 Funktionär der KPJ, von der Komintern offiziell mit dem Aufbau einer neuen Führung beauftragt. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Parteiführung war es, wieder von Jugoslawien aus zu operieren. Titos Erfolg beim Neuaufbau der Partei war teilweise auf seine pragmatischen und organisatorischen Fähigkeiten zurückzuführen, aber auch auf das Glück, bei den stalinistischen Säuberung nicht selbst getötet worden zu sein. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs hatte die KPJ schließlich wieder 7.000 Mitglieder und rund 30.000 Mitglieder im Bund der kommunistischen Jugend Jugoslawiens [Savez komunističke omladine Jugoslavije ‒ SKOJ].

Lev Centrih ist Historiker und lebt in Ljubljana. Er ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift Borec.

Weiterführende Literatur:

  • Lev Centrih (2014): The Road to Collapse. The Demise of the League of Communists of Yugoslavia. Belgrade: Research Paper Series of Rosa Luxemburg Stiftung Southeast Europe.
  • Đorđe Tomić/Krunoslav Stojaković (2013): Aus der Geschichte der jugoslawischen Linken. Von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – Desideratsskizzen.< In: Đorđe Tomić/Roland Zschächner/Mara Puškarević/Allegra Schneider (Hg.): «Mythos Partizan». (Dis-)Kontinuitäten der jugoslawischen Linken: Geschichte, Erinnerungen und Perspektiven. Münster: Unrast Verlag, S. 46-87.
  • Holm Sundhaussen (1981): Jugoslawien. In: Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa, herausgegeben von Frank Wende. Stuttgart: Alfred Körner Verlag, S. 335-338.

Der Volksbefreiungskampf und die Gründung des sozialistischen Jugoslawien

Von Josip Jagić

In weniger als zwei Wochen, so lange dauerte der sogenannte Aprilkrieg 1941, wurde das Königreich Jugoslawien besiegt und verschwand von der historischen Bildfläche. Sein König, Petar Karađorđević II., floh mit seiner Regierung nach Großbritannien. Das Territorium des Königreichs wurde anschließend unter den Achsenmächten aufgeteilt. In jenen Gebieten, die nicht direkt an die Achsenmächte angegliedert wurden, bildeten die faschistischen Besatzer verschiedene, mit minimaler Autonomie ausgestattete territoriale Einheiten.

Die Verfolgung vor allem der serbischen Bevölkerung durch die Ustaša war so brutal, dass selbst die örtlich stationierten Vertreter von Hitler-Deutschland Vorbehalte und Kritik äußerten.

Neuformierte Kollaborationsregime kooperierten und unterstützten die militärischen und politischen Interessen der Achsenmächte, einschließlich der Ein- und Durchführung der Rassenpolitik des Dritten Reiches. In diesen neuen Staatsgebilden wurden ethnische Verfolgungen und Säuberungsprogramme vorangetrieben, wodurch diese Territorien in den Flammen interethnischer Gewalt erstickten. Im Rahmen des von den faschistischen kroatischen Ustaša etablierten «Unabhängigen Staat Kroatien» [Nezavisna država Hrvatska ‒ NDH], einem Marionettenstaat von Hitlers Gnaden, der sich auf das Gebiet des heutigen Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Teilen von Serbien (Zemun) erstreckte, wurden, zusätzlich zur Verfolgung und Ermordung der Juden und Roma, vor allem Serben verfolgt und ermordet. Insgesamt starben etwa 217.000 Serbinnen und Serben während des NDH als Opfer des Faschismus. Die Verfolgung vor allem der serbischen Bevölkerung durch die Ustaša war so brutal, dass selbst die örtlich stationierten Vertreter von Hitler-Deutschland Vorbehalte und Kritik äußerten. Sie waren der Ansicht, dass dies Unruhen begünstige und die serbische Bevölkerung zum Widerstand gegen den NDH treibe. Die Achsenmächte wollten dieses Gebiet befrieden, um sich auf ihre Kriegsanstrengungen an der Ostfront konzentrieren zu können.

Die Kommunistische Partei Jugoslawiens

In den Jahren vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs befand sich die Kommunistische Partei Jugoslawiens im Aufwuchs. Die Zahl ihrer Organisationen nahm zu, 1941 hatte sie bis zu 12.000 Mitglieder (von denen lediglich 3.000 das Kriegsende erleben sollten), hinzu kamen etwa 30.000 Mitglieder in der kommunistischen Jugendorganisation SKOJ. Dieser positive Mitgliederzuwachs war Ergebnis der Konsolidierung der Parteiführung unter Josip Broz Tito. Sie war auch ein Produkt der politischen Radikalisierung in Jugoslawien und dem Versagen des königlichen Regimes, die wachsenden sozialen Probleme infolge der Wirtschaftskrise anzugehen. Am drastischsten waren die Probleme in den ländlichen Gebieten. Obwohl der Ribbentrop-Molotow-Pakt die parteipolitische Linie vor zahlreiche Herausforderungen stellte, brachte die KPJ dennoch alle möglichen Kräfte und Anstrengungen auf, um zum bewaffneten Widerstand aufzurufen sobald das Dritte Reich in die Sowjetunion einmarschiere. Die Aufforderung zum bewaffneten Aufstand begann mit den Worten: «Lasst uns unser Land zum Grab der Besatzungsmächte machen, anstatt ihre Basis zu sein».

Der Volksbefreiungskampf und die Gründung des sozialistischen Jugoslawien
Illustration: Dunja Janković

In den folgenden Monaten explodierten die Aufstände überall im Lande. Bald wurde klar, dass die Hauptlast des Kampfes auf dem Land, und nicht in den Städten liegen würde, dass der Kampf lange dauern und von der einheimischen Bevölkerung getragen werden müsse, da sich die Rote Armee in diesem Sommer überall im Rückzug befand. Die Aufstände waren zum Teil Ergebnis kommunistischer Aktivitäten, aber auch das Resultat existentieller Nöte, in der sich verschiedene soziale und ethnische Gruppen nach der Besatzung und Zerstörung des Königreiches befanden. Obschon die regionale Dynamik der Aufstände manchmal stark variierte, schaffte es die KPJ sich als führende und einigende Kraft unter dem Dach der Volksbefreiungsbewegung [Narodnooslobodilački pokret ‒ NOP] zu etablieren. Die Volksbefreiungsbewegung nutzte das Konzept der Volksfrontpolitik, durch die nicht nur der organisierte Widerstand gegen die faschistische Okkupation erfolgte, sondern auch der politische Horizont gänzlich neuer sozialer Beziehungen nach dem Sieg über den Faschismus eröffnet wurde. Der jugoslawischen Volksbefreiungsbewegung gelang es, den Konflikt auf eine politische Ebene zu heben. Diese gründete sich auf einer sozialistischen Plattform und versprach der Bevölkerung eine radikale Änderung der bisherigen überkommenen Gesellschaftsbeziehungen.

Die Volksbefreiungsbewegung

Die faschistischen Regierungen mit ihren modernen Institutionen, ihren Verbrechen, Fehlern und Defekten ebneten den Weg für die massenhafte Unterstützung der Partisanenbewegung.

Schon vor dem Aprilkrieg, der das Ende des alten Königreichs Jugoslawien brachte, war die Haltung der KPJ klar ‒ keine Rückkehr zum alten! Für die KPJ waren die Tage des alten Königreichs Jugoslawien gezählt. Die Bildung und der Aufbau von revolutionären Institutionen in den Partisanenrepubliken, jenen Territorien also, die sich unter Partisanenkontrolle befanden, spiegelte das wider. Diese Taktik der jugoslawischen Kommunisten veranlasste den bekannten britischen Historiker Eric J. Hobsbwam in seiner Analyse des Antifaschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Folgerung, dass «die Kommunisten, außer in ihren Guerilla-Hochburgen auf dem Balkan, keinen Versuch unternommen haben, revolutionäre Regimes zu errichten.» Städte, Dörfer, Weiler, Wälder und Hügel ‒ die passivsten Gebiete Jugoslawiens wurden zu den neuen Hauptstädten des Partisanen-Jugoslawien. Die faschistischen Regierungen mit ihren modernen Institutionen, ihren Verbrechen, Fehlern und Defekten ebneten den Weg für die massenhafte Unterstützung der Partisanenbewegung, und somit zur Befreiung des Landes.

Mit fortschreitender Kriegsdauer nahm die Popularität der Volksbefreiungsbewegung zu, auch wenn sich dieser Prozess nicht linear vollzog. Im Jahr 1945 zählte Titos Partisanenarmee rund 750.000 Kämpferinnen und Kämpfer.

Befreiung des Landes und Gründung des sozialistischen Jugoslawien

Der Krieg in Jugoslawien endete sieben Tage nach dem offiziellen Kriegsende in Europa. Die verbliebenen Armeen des Dritten Reiches und ihrer lokalen Verbündeten flohen nach Österreich, um der Bestrafung durch die Partisanen zu entgehen und sich den Engländern zu ergeben. Nach sieben brutalen Kriegstagen im Westen Jugoslawiens, und mit großen menschlichen Verlusten auf beiden Seiten, ergaben sich schließlich die Achsenmächte, woraufhin eine große Anzahl von ihnen auf sogenannten «Todesmärschen» durch Jugoslawien hingerichtet wurde. Der letzte Akt eines Krieges, der in Jugoslawien rund eine Million Tote forderte und seinen brutalen Charakter voll zum Ausdruck brachte. Noch Mitten im Aprilkrieg erklärte die KPJ in einem Aufruf, den einfallenden Achsenmächten Widerstand leisten zu wollen, und durch den gemeinsamen Widerstand eine freie und brüderliche Gemeinschaft wirklich unabhängiger jugoslawischer Völker zu bilden. Ende 1943 wurden schließlich auf der Zweiten Konferenz des Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens [Antifašističko vijeće narodnog oslobođenja Jugoslavije ‒ AVNOJ] in der in Bosnien-Herzegowina gelegenen Stadt Jajce die Konturen des neuen Jugoslawien ausgearbeitet. Jugoslawien sollte eine auf föderalen Beziehungen zwischen ihren Völkern beruhende Republik werden, alle Völker waren ja auch Teil des massenhaften antifaschistischen Widerstands waren.

Aufgrund der Popularität der Volksbefreiungsbewegung, und durch die Kontrolle der großen jugoslawischen Partisanenarmee, gelang es der KPJ, ein neue, föderale und sozialistische Republik Jugoslawien zu bilden.

Bestrebungen der westlichen Alliierten nach Kriegsende, die Rolle der Kommunisten einzugrenzen, waren allesamt erfolglos. Als führende politische Kraft der Volksbefreiungsbewegung, bestand die KPJ darauf, auch die Nachkriegsordnung führend zu gestalten. Aufgrund der Popularität der Volksbefreiungsbewegung, und durch die Kontrolle der großen jugoslawischen Partisanenarmee, gelang es der KPJ, ein neue, föderale und sozialistische Republik Jugoslawien zu bilden. Ungeachtet der geopolitischen Interessen der westlichen Alliierten. Und ungeachtet Stalin.

Josip Jagić ist Historiker und lebt in Zagreb. Er ist aktiv im Netzwerk junger Antifaschist_innen Zagreb.

Weiterführende Literatur:

  • Roland Zschächner (2013): Der Zweite Weltkrieg in Jugoslawien. In: Đorđe Tomić/Roland Zschächner/Mara Puškarević/Allegra Schneider (Hg.): «Mythos Partizan». (Dis-)Kontinuitäten der jugoslawischen Linken: Geschichte, Erinnerungen und Perspektiven. Münster: Unrast Verlag, S. 110-135.
  • Olivera Milosavljević (2013): Geschichtsrevisionismus und der Zweite Weltkrieg. In: Đorđe Tomić/Roland Zschächner/Mara Puškarević/Allegra Schneider (Hg.): «Mythos Partizan». (Dis-)Kontinuitäten der jugoslawischen Linken: Geschichte, Erinnerungen und Perspektiven. Münster: Unrast Verlag, S. 222-233.
  • Klaus Schmider (2002): Partisanenkrieg in Jugoslawien, 1941-1945. Hamburg: E. S. Mittler und Sohn Verlag.

Das Rote Licht der jugoslawischen Partisanenfotografie

Von Davor Konjikušić, Zagreb

Das 75. Jubiläum des Tags der Befreiung gibt Anlass, einer der größten antifaschistischen Bewegungen Europas zu gedenken: Der jugoslawischen Partisanenbewegung, die unter der Führung der Kommunistischen Partei zum größten antifaschistischen Volksaufstand zwischen 1941 und 1945 heranwuchs. In ihren Reihen kämpften, über die Antifaschistische Frauenfront organisiert, über 100.000 Frauen. Die jugoslawischen Partisanen kämpften an drei Fronten: gegen die deutschen und italienischen Besatzer, gegen einheimische Kollaborateure (in erster Linie die kroatischen Ustascha und serbischen Tschetniks), aber auch für eine grundlegende Veränderung der sozioökonomischen Verhältnisse. Sie strebten, allen Widerständen zum Trotz, eine soziale Revolution an; sie boten einer Bevölkerung, die zu dieser Zeit mehrheitlich in halbfeudalen Verhältnissen lebte, die Perspektive einer radikalen Emanzipation. Das Belgrader Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat, zusammen mit dem in Zagreb lebenden Autor und Fotografen Davor Konjikušić, ein Buch zur Fotografie der Partisanen veröffentlicht, das einen einzigartigen Blick auf die Bewegung ermöglicht und zahlreiche Fotografien zum ersten Mal überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Partisanenfotografie
Illustration: KURS-kolektiv

Innerhalb der Partisanenbewegung kam der kulturellen Produktion eine wichtige Funktion für die Herstellung eines gemeinsamen, übernationalen Bewegungsnarrativs zu.

Das Buch Rotes Licht. Jugoslawische Partisanenfotografie und soziale Bewegung, 1941-1945 (dt. Arbeitstitel) ist eine umfassende Pionierstudie zur Fotografie der jugoslawischen Partisanen während des Zweiten Weltkriegs. Innerhalb der Partisanenbewegung kam der kulturellen Produktion eine wichtige Funktion für die Herstellung eines gemeinsamen, übernationalen Bewegungsnarrativs zu. Ihr Ziel war es, die Bevölkerung zum Zwecke ihrer Emanzipierung zu bilden und zu politischem Aktivismus zu animieren. Produziert wurde diese Kunst sowohl von professionellen Kunstschaffenden als auch von Amateurkünstlern, sie wurde aber auch von Menschen ohne jedwede Vorkenntnisse produziert, was indirekt zu ihrer Demokratisierung beitrug.

Zur Zeit der Pariser Kommune, der weltweit erstmals fotografisch dokumentierten Revolution, spielten die dabei geschossenen Bilder eine, für die Kommunarden leider lebensbedrohliche Schlüsselrolle, denn sie wurden zur späteren Identifizierung und – zumeist – anschließenden Exekution der Kommunarden benutzt. Die Rolle, die der Fotografie im jugoslawischen Partisanenkampf zukam, sollte für die Revolutionäre hingegen positiver besetzt sein: sie half den jugoslawischen Partisanen dabei, neben dem militärischen Sieg auch die kulturelle Hegemonie gegen militärisch und materiell weitaus potentere Feinde davonzutragen.

Fotografien bilden immer auch ein Archiv. Mit der Veröffentlichung dieses Buches wurde ein Archiv der Partisanenfotografie geschaffen, in das veröffentlichte und bisher gänzlich unveröffentlichte, wohlbekannten und neu entdeckte Bilder Eingang gefunden haben. Dieses Archiv ist abgedruckt in der zweiten, als «Fotoalbum» betitelten Hälfte des Buches.

Darin wird die Darstellung zahlreicher Aspekte des Partisaninnen- und Partisanendaseins analysiert: der Alltag in den befreiten Gebieten, religiöse und politische Freiheiten, Krieg und Kampf, die Rolle der Frau, Kunstproduktion und Ausstellungen, Siege, Niederlagen und vieles mehr. Besonders stolz sind wir darauf, zum ersten Mal überhaupt ein Gesamtverzeichnis aller Fotografinnen und Fotografen erstellt zu haben. Viele von ihnen haben den Krieg nicht überlebt – genau wie ihre Fotoarchive.

Das Hauptziel der Partisanenfotografie war es, nicht nur den bewaffneten Konflikt, sondern auch den Kampf um Repräsentation siegreich zu gestalten, trotz begrenzter Ressourcen.

Das Hauptziel der Partisanenfotografie war es, nicht nur den bewaffneten Konflikt, sondern auch den Kampf um Repräsentation siegreich zu gestalten, trotz begrenzter Ressourcen. Im Hinblick auf ihre Ausstattung konnten die Fotografinnen und Fotografen allerdings bei weitem nicht mit der Propagandamaschine ihrer inländischen Feinde mithalten, und schon gar nicht mit den italienischen Faschisten und Nazis, die es bestens verstanden, die Fotografie als propagandistische Waffe einzusetzen. So verfügten gerade die Nazis mit den Propagandakompanien der Wehrmacht über äußerst gut organisierte Propagandaeinheiten.

Unser Ziel war es, die Partisanenfotografie möglichst nicht unter dem alleinigen Gesichtspunkt der Agitation und Propaganda zu betrachten, sondern auch die politische Dimension der Fotografie an sich zu untersuchen.

In seinem bekannten Aufsatz «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» schreibt Walter Benjamin einerseits, dass die Fotografie die Aura des Kunstwerks unwiderruflich zerstört, andererseits aber das Potential hat, «revolutionäre[] Forderungen in der Kunstpolitik» hervorzubringen. Gerade die Partisanenfotografie verwischte die Grenze zwischen Autor und Öffentlichkeit, wodurch sie der avantgardistischen Idealvorstellung Walter Benjamins ziemlich gut entsprach.

Die Fotografie hat für die Partisanenbewegung eine wichtige Rolle beim Herbeiführen gesellschaftlicher Veränderungen gespielt.

Die Fotografie hat für die Partisanenbewegung eine wichtige Rolle beim Herbeiführen gesellschaftlicher Veränderungen gespielt. Neben Berufsfotografen waren auch Laien aktiv, sie wurden im Laufe des Partisanenkampfes im Umgang mit Kameras geschult. Ihre Fotografien wurden für Flugblätter und in Zeitungen verwendet sowie zu Dokumentfälschungen, zur Erstellung eines Archivs des Partisanenkampfes und auch für Ausstellungen in den Städten und Wäldern der befreiten Gebiete.

Buchcover Rotes Licht
Tito
Partisanen
Theater der Volksbefreiung
Ausstellung Partisanenfotografie
Treffen
Wahlen auf befreitem Territorium
Partisanen
Bäuerin in Dalmatien
Flüchtling aus Ostbosnien
Partisanin in Dalmatien
Jungpartisanen
Kind
Schlacht am Fluss Neretva
Partisanenpaar heiratet
Partisanenkurier
Rede von Tito Insel Vis 1944
Porträtfoto eine Partisanen
Befreiung von Zagreb 1945


In der Partisanenfotografie zählte nur die «Innensicht», die Grenze zwischen Objekt und Subjekt war aufgelöst. Zunächst war die Partisanenfotografie auch noch nicht Teil eines zentralisierten Agitations- und Propagandasystems. Ganz im Gegenteil: Bis 1943 waren die Fotografinnen und Fotografen weitgehend sich selbst überlassen. Die italienische Kapitulation 1943 vergrößerte schließlich den Handlungsspielraum für die Partisanen und ihre Fotografie. Allmählich ließ auch die politische Zurückhaltung der Vereinigten Staaten und Englands nach, die Partisanen wurden als einzig nennenswerte antifaschistische Bewegung auf dem Territorium des okkupierten Jugoslawiens anerkannt. Im Verlauf des Jahres 1944 fand dann eine Systematisierung der Fotoproduktion durch zentrale Fotodienste und Agitations- und Propagandabüros (Agitprop) statt, welche das gesamte Kulturschaffen unter ihre Kontrolle brachten.

Die Partisanenfotografie musste von Anfang an die Balance halten zwischen künstlerischem Freiraum und späteren Versuchen, sie in ein umfangreiches Informations-und Propagandasystem zu integrieren.

Das Buch trägt der Partisanenfotografie aber auch in ihrer Propagandafunktion Rechnung, unter Berücksichtigung ihre begrenzten technischen Mittel. Als Propaganda-Instrument funktionierte sie in erster Linie als Überbringerin der Nachricht vom Aufbau einer neuen Welt. Gleichzeitig diente sie dazu, möglichst breite Bevölkerungsmassen zur Beteiligung an diesem Aufbau zu gewinnen. Die Partisanenfotografie musste von Anfang an die Balance halten zwischen künstlerischem Freiraum und späteren Versuchen, sie in ein umfangreiches Informations-und Propagandasystem zu integrieren. Die Fotografinnen und Fotografen mussten jederzeit damit rechnen, dass nicht nur ihre Negative (und somit ihre Archive) vernichtet werden konnten, sondern auch sie selbst. Dieses Risiko ist mit ein Grund dafür, dass ihnen das militärische und politische Oberkommando der Partisanenarmee einen so großen Spielraum und weitgehende Meinungsfreiheit zugestand.

Wie faszinierend ihr Unterfangen war, veranschaulicht der Umstand, dass die jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug (dt. «Nachrichtenagentur des neuen Jugoslawiens») bereits am 5. November 1943 gegründet wurde – vier Jahre vor Magnum Photos, der ersten international agierenden Fotoagentur. Viele der Partisanenfotografen erlernten ihr Handwerk – die Nachrichtenfotografie – im Krieg. Das ist durchaus bemerkenswert, denn das amerikanische Life Magazine, welches das Fundament für den modernen Fotojournalismus legte, wurde 1936 ins Leben gerufen – nur vier Jahre bevor sich die ersten Partisanenfotografen ans Werk machten. Ein Großteil der hier abgedruckten Bilder wurde von anonymen Fotografinnen und Fotogrtafen gemacht, was ihrer Bedeutung aber keinen Abbruch tut. Im Kampf gegen den Faschismus verfolgten die meisten eine gemeinsame Idee: Sie verstanden sich und ihre Arbeit als Teil eines kollektiven, zweckgerichtetes Projekts.

Ein Großteil des ehemaligen Partisanenarchivs, insbesondere die Negative, wurde nie professionell verwahrt, das Meiste dem Verfall überlassen.

Dieses Buch ist in einem gesellschaftspolitischen Kontext entstanden, in dem die kommunistisch geführte Partisanenbewegung, wie auch das jugoslawische Erbe insgesamt, politisch unerwünscht sind. Dies gilt für beinahe alle ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken, insbesondere aber für Kroatien und Serbien. Viele Archive bleiben für Forscherinnen und Forscher nach wie vor verschlossen, die Veröffentlichung eines Buches wie diesem wird dabei fast schon zu einem Akt von Zivilcourage. Ein Großteil des ehemaligen Partisanenarchivs, insbesondere die Negative, wurde nie professionell verwahrt, das Meiste dem Verfall überlassen. Gerade deshalb widersetzen sich die hier abgedruckten Bilder auch dem heutigen Geschichtsrevisionismus – sie zeigen die Partisaninnen und Partisanen als Freiheitskämpfer

Wie Didier Eribon in Rückkehr nach Reims schrieb, ordnet man bei der Betrachtung alter Fotos dort abgebildete Körper unmittelbar einer sozialen Klasse zu – und auch uns selbst schreiben Fotografien in unser jeweiliges Umfeld ein, sie verorten uns in einer kollektiven Geschichte und Geografie.

Angesichts der systematischen Vernachlässigung und Zerstörung von Archiven sowie der Fabrikation falscher Fakten in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens stellt das im vorliegenden Buch präsentierte Material eine Herausforderung dar. Unter den heutigen Umständen ist jede Recherche zur jugoslawischen Partisanenfotografie (und in dieser Hinsicht ist dieses Buch nur ein erster kleiner Schritt) ein unangenehmer Zeitzeuge, der sich den etablierenden antikommunistischen Narrativen entgegenstellt.

Rotes Licht zeigt, dass Fotografie in politischen Konflikten und Revolutionen, einschließlich der jugoslawischen Partisanenbewegung, eine zentrale und bedeutende Rolle spielt. Wir müssen uns von der Annahme ihre Unvoreingenommenheit lösen, denn es ist auch der Fotografie geschuldet, dass politische Konflikte gegenwärtig mehr denn je auf repräsentativer Ebene stattfinden.

Dieses Buch ist die Geschichte einer Bewegung, der es gelungen ist, unter widrigsten Umständen ein System aufzubauen, es dokumentiert ihre Kämpfe und Widersprüche. In gewisser Weise stellt dieses Buch auch die kolonialistische Perspektive des Balkans als Ort der Intoleranz und innerer Unruhen infrage. Es erzählt die Geschichte eines siegreichen Kampfes gegen einen übermächtigen Gegner und des Erreichens von Idealen wie Bratstvo i jedinstvo ‒ Brüderlichkeit und Einheit, dies war eine der zentralen Losungen des jugoslawischen Partisanenkampfes. Die zentrale Stellung, die Fotografien heutzutage in politischen und sozialen Konflikten einnehmen, wirft die Frage nach ihrem Potential auf, die öffentliche Meinung zu verändern, neue Bereiche für den gesellschaftlichen Diskurs zu öffnen und globale Solidarität zu fördern. Im Grenzbereich von Kunst, Propaganda und Zeitzeugnis nahm sie bei den jugoslawischen Partisanen verschiedene Rollen ein, und war bei weitem nicht monofunktional – ihre Relevanz als politisches Massenmedium hat sich mit dem technologischen Fortschritt nur verstärkt.

Das historische ‹Nein› zu Stalin und die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien

Von Luka Bogdanić

Die im Laufe des Krieges entwickelten guten Beziehungen zwischen der UdSSR und Jugoslawien spiegelten sich vor allem in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wieder. Nach Kriegsende wurden zahlreiche Kooperationsverträge unterschrieben, auch lebte eine große Zahl sowjetischer Experten in Jugoslawien. Bis 1948 bezogen sich über 50% des jugoslawischen Exports auf die osteuropäischen Staaten, der Großteil davon auf die Sowjetunion. Das erste Anzeichen einer Krise zwischen diesen zwei Staaten war die Ende März 1948 begonnene Abberufung militärischer und ziviler sowjetischer Experten aus Jugoslawien.

Gemäß den Instruktionen aus Moskau, führten diese Experten ohnehin eher eine stalinistische Unterordnung der Peripherie unter das Zentrum durch, d.h. Jugoslawiens unter die Sowjetunion, als dass sie beim Aufbau des Landes geholfen hätten. Auch arbeiteten sie häufig mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammen. Als Grund der Abberufung ihrer Experten nannten die Sowjets das Misstrauen der jugoslawischen Führung ihnen gegenüber, aber auch ihre Überwachung durch jugoslawische Geheimdienstler. Stalin und Molotov überbrachten Ende März/Anfang April 1948 mehrere Schreiben an die Führung der KPJ, in denen sie die jugoslawische Parteiführung der Diskreditierung sowjetischer Experten und einer antisowjetischen Politik bezichtigten.

Unstimmigkeiten zwischen Belgrad und Moskau

In einem Brief vom 4. Mai 1948 formulierte die sowjetische Führung die Thesen, wonach sowohl die Kriegserfolge als auch die Übernahme der Regierungsmacht durch die KPJ nur sowjetischer Hilfe zu verdanken seien. Die jugoslawische Parteiführung reagierte auf diese Beschuldigungen prompt, ebenso wie auf die Versuche, den selbständigen Beitrag im Volksbefreiungskrieg in Abrede zu stellen, lehnte es aber ab darüber auf der nächsten Kominform-Sitzung in Bukarest zu debattieren (um, wie gefordert, ihre Meinung zu revidieren). Hinzu kam, dass die Arbeit des Kominform, dessen Sitz in Belgrad lag, selbst Gegenstand der Krise war.

Das historische ‹Nein› zu Stalin und die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien
Illustration: Dunja Janković

Das Kommunistische Informationsbüro wurde 1947 im Kontext des beginnenden Kalten Krieges gegründet, sein Hauptsitz ebenso wie Ort des ersten Kongress war bis zum Beginn der Krise Belgrad. Mit diesem zweiten Brief wurde der schwelende Konflikt einem großen Teil der jugoslawischen Parteiführung bekannt, auch war klar, dass es sich nicht um Missverständnisse, sondern eine handfeste Krise handelte.

Parallel zur Verschärfung der Krise wurden aus der KPJ jene Funktionäre ausgeschlossen, die sich mit den sowjetischen Thesen einverstanden erklärten.

Parallel zur Verschärfung der Krise wurden aus der KPJ jene Funktionäre ausgeschlossen, die sich mit den sowjetischen Thesen einverstanden erklärten; nach der folgenden Eskalation wurde ein Großteil von ihnen ins Gefängnis gesteckt. Die Zerschlagung der Partei hätte in diesem Moment die Möglichkeit einer sowjetischen Intervention bedeutet.

Die Kominform-Resolution

Der allgemeinen, sowohl einheimischen als auch internationalen Öffentlichkeit wurde der Konflikt am 28. Juni 1948 bekannt, als das Kominform seine Resolution über die Situation innerhalb der KPJ veröffentlichte. In dieser Resolution wurden, in noch schärferem Ton, die vorangegangenen Vorwürfe noch einmal wiederholt. Die Führung der KPJ wurde des Verrats am Marxismus-Leninismus angeklagt, der Unfähigkeit, die Nationalisierung auf dem Dorf durchzuführen, des Verlustes der kommunistischen Identität innerhalb der Volksfront sowie eines Mangels an innerparteilicher Demokratie.

Die Führung der KPJ wurde des Verrats am Marxismus-Leninismus angeklagt

Die Anklagen wurden derweil mit der bekannten stalinistischen Rhetorik versehen, so dass die KPJ gleichzeitig des Trotzkismus, Menschewismus, Opportunismus und Bucharinismus angeklagt wurde. Die Resolution wurde von den Vertretern aller Mitgliedsparteien des Kominform unterzeichnet. Am 29. Juni 1948 wurde die Resolution in Jugoslawien, zusammen mit der Antwort des ZK KPJ, veröffentlicht. Die Antwort der Kommunistischen Partei Jugoslawiens widerlegte Punkt für Punkt die in der Resolution formulierten Anklage, und es wurde betont, dass das Kominform mit seiner Handlungsweise die Prinzipien der gleichberechtigten Diskussion negiere und zum Aufstand in der KPJ aufriefe. Zur gleichen Zeit wurde der fünfte Kongress der KPJ abgehalten, auf dem die Führung bestätigt und Tito zum Generalsekretär gewählt worden ist.
In seinem Referat betonte Tito, dass Jugoslawien den sozialistischen Aufbau fortsetzen und die Partei beweisen werde, dass sie nicht vom «Weg abgekommen» sei.

Hintergrund des Konfliktes

Die hauptsächlichen Gründe für den Konflikt resultierten vor allem aus der unabhängigen regionalen und außenpolitischen Ausrichtung der KPJ. Die Unabhängigkeit von Tito und der KPJ resultierte aus dem großen Ansehen, welches die Partei durch ihre Rolle im Befreiungskampf gegen den Nazi-Faschismus gewonnen hatte – und zwar national ebenso wie international. Die konkreten Gründe des Konfliktes lagen in der unabhängigen Politik der jugoslawischen Kommunisten gegenüber den griechischen Partisanen (Moskau wünschte als Ergebnis von Jalta eine Kontrolle der Situation), und gegenüber der albanischen KP. Die strategische Position Jugoslawiens ermöglichte es überdies den jugoslawischen Kommunisten, zu einem wichtigen geopolitischen Faktor zu werden. Auch dies kollidierte mit dem absoluten Führungsanspruch der UdSSR innerhalb des sozialistischen Blocks. Die Führung der UdSSR war zudem wenig angetan von der Möglichkeit, Tito und Dimitrov zu regionalen Führungsfiguren eines Bundes der Balkan- und Donaustaaten heranwachsen zu lassen. Als Dimitrov etwa seine Idee einer Union der sozialistischen europäischen Staaten (eine Art Zollunion) vorstellte, wurde diese in der Moskauer Prawda sofort kritisiert. Als Gegenmodell schlug die UdSSR eine Föderation zwischen Bulgarien und Jugoslawien vor, was jedoch unannehmbar erschien da Bulgarien noch Kriegsentschädigungen an Jugoslawien zahlen musste.

Konsolidierung des sozialistischen Jugoslawien

Der Konflikt mit dem vormals ideologischen Leitstern öffnete die Möglichkeit einer anderen kommunistischen Identität

Die KPJ war sehr erfolgreich darin, sich, trotz der Isolation durch den sowjetischen Block, sowohl internationale Anerkennung zu erkämpfen – und zwar des Westens (ohne dessen Unterstützung es wohl kaum überlebt hätte) und der sogenannten Dritte-Welt-Staaten – ohne sich dabei von ihrer kommunistischen Ideologie zu distanzieren. Die Blockfreien-Bewegung findet ihren Ursprung ebenfalls im historischen «Nein» Titos. Der Widerstand gegen die Isolation öffnete einen immensen Raum, sowohl ideologisch und kulturell, als auch ökonomisch, was die Freisetzung kreativer Kräfte in der Gesellschaft ermöglichte. Der Konflikt mit dem vormals ideologischen Leitstern eröffnete die Möglichkeit einer anderen kommunistischen Identität, der Suche nach einer passenden sozialistischen Entwicklung. Die Einführung der Selbstverwaltung (ab 1950) war die jugoslawische Antwort auf den sowjetischen Staatssozialismus, die Umbenennung des Landes 1963 von «Föderative Volksrepublik Jugoslawien» in «Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien» war die symbolische Bestätigung des neuen Kurses.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das historische «Nein» zu Stalin als Gründungsakt des jugoslawischen sozialistischen Projektes betrachtet werden kann. Mit Titos «Nein» wurde die stalinistische Praxis der Unterordnung der Peripherie unter ein Zentrum in Frage gestellt, ebenso wie die Universalität des stalinistischen Sozialismusmodells.

Luka Bogdanić ist Historiker und lebt in Zagreb.

Weiterführende Literatur:

  • Marie-Janine Calic (2010): Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck.
  • Holm Sundhaussen (2007): Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert. Wien: Böhlau.
  • Adam Bruno Ulam (1972): Tito, Titoismus. In: Claus D. Kernig (Hrsg.): Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie. Band 6: Sozialrevolutionäre bis Zufall. Freiburg: Herder, Sp. 451-465.

Das emanzipatorische Nachleben des Blockfreien-Internationalismus

Von Paul Stubbs, Zagreb

Was können wir vom Geist von Bandung für die Gegenwart bewahren?

Obwohl die Blockfreien-Bewegung (BfB) bis heute weiter fortbesteht – ihr 18. Gipfeltreffen fand am 25. und 26. Oktober 2019 in Baku in Aserbaidschan statt –, kann man wohl sagen, dass sie mit dem Ende des Kalten Krieges nach 1989 an Relevanz verloren hat. Zudem zerfiel infolge der Jugoslawienkriege von 1991 bis 1999 eins der wichtigsten Gründungsmitglieder, das sozialistische Jugoslawien, in mehrere konfliktbeladene souveräne Nationalstaaten. In weiten Teilen des postjugoslawischen Raums versuchte man, die BfB bewusst zu vergessen, zumindest auf Ebene der offiziellen Politik; zum Teil wurde sie auch von regionalen «Beobachtern» gekapert, um einer identitären nationalistischen Politik einen internationalistischen Anstrich zu geben.

In weiten Teilen des postjugoslawischen Raums versuchte man, die BfB bewusst zu vergessen, zumindest auf Ebene der offiziellen Politik; zum Teil wurde sie auch von regionalen «Beobachtern» gekapert, um einer identitären nationalistischen Politik einen internationalistischen Anstrich zu geben.

Auf der anderen Seite macht sich in wissenschaftlichen und aktivistischen Kreisen seit einigen Jahren wieder ein verstärktes Interesse an der BfB bemerkbar, da sie für eine andere Form von Globalisierung steht als das derzeitige neoliberale Programm. (Stubbs 2019; Bockman 2016) Einen Blick auf die BfB zur Zeit des Kalten Krieges zu werfen, ist mehr als nur historisch aufschlussreich. Vielmehr eröffnet die Neubetrachtung der BfB und ihres «Nachlebens» (Ross 2002) einen produktiven Zugang zu ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungswelten, die in dreierlei Hinsicht wichtig sind. In ihrer vergangenen Manifestation forderte sie die damalige hegemoniale Weltordnung heraus; bewirkte eine Verschiebung der «Zentrum-Peripherie»-Beziehungen; und förderte vor allem eine Form von Selbstbestimmung, die sich jenseits der von den USA beziehungsweise der Sowjetunion angeführten Machtblöcke ausprägen konnte.

Das emanzipatorische Nachleben des Blockfreien-Internationalismus
Illustration: KURS-kolektiv

Der vorliegende Aufsatz behandelt Aspekte der BfB, die für einen heutigen linken und progressiven Internationalismus von Bedeutung sind. Der Aufsatz ist ein versuchsweiser Akt des Dokumentierens, Neuformulierens und Erinnerns; eine zeithistorische Übersetzung, die keine geradlinige «Geschichtsstunde» bietet, sondern einen bescheidenen Vorschlag vorbringt in Richtung einer aktualisierten internationalistischen Ethik und Politik auf Grundlage emanzipatorischer Solidarität – es geht also um eine «Verhandlungstechnik und Überlebensstrategie» (Iveković 2005), die «die Dinge anderweitig zugänglich [macht]». (Iveković 2002) Am aufschlussreichsten ist dabei wohl, wie viele Aspekte der Blockfreien-Geschichte derzeit in scheinbar neuen linken Theorie- und Politikdebatten wiederaufleben, etwa in Diskursen zu Postkolonialismus, Antirassismus, Intersektionalität oder globaler sozialer Gerechtigkeit, um nur einige Beispiele zu nennen. Natürlich birgt es Risiken, derart zwischen den Jahrzehnten und ihrem jeweiligen Kontext zu springen, darunter etwa die Verklärung der BfB und die Verharmlosung ihres Instrumentalismus, ihrer Widersprüche und blinden Flecken. Bei mir als Vertreter einer historischen Soziologie des sozialistischen Jugoslawiens und als Aktivist der postjugoslawischen Neuen Linken kommt dazu das Risiko, die Rolle Jugoslawiens – im Zuge der anhaltenden Faszination mit seiner ambivalenten Position und «randständigen Hegemonie» (Stubbs 2019) – überzubewerten und damit die Perspektiven afrikanischer, asiatischer und südamerikanischer Staaten auszublenden, die fester im antikolonialen Kampf verankert sind.

Dekolonialismus und Antirassismus

Die Blockfreien-Bewegung war von Anfang an sowohl Resultat als auch Katalysator des Kampfs um die Befreiung vom Kolonialismus.

Die Blockfreien-Bewegung war von Anfang an sowohl Resultat als auch Katalysator des Kampfs um die Befreiung vom Kolonialismus. Hervorzuheben wären hier zunächst die schnellen Fortschritte, die bei der Konferenz asiatischer und afrikanischer Staaten im indonesischen Bandung im April 1955 erzielt wurden, gefolgt vom Treffen zwischen Tito, Nasser und Nehru auf der Insel Brijuni im Juli 1956 und dem ersten Blockfreien-Gipfel in Belgrad vom 1. bis 5. September 1961. Eine breiter angelegte historische Perspektive auf die dekolonialen Bestrebungen in Zusammenhang mit der BfB müsste auch den im Februar 1927 in Brüssel abgehaltenen Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus sowie die schon ab 1919 von W. E. B. Du Bois organisierten panafrikanischen Kongresse mitberücksichtigen. (Dinkel 2019)

Die Gründung des sozialistischen Jugoslawien lässt sich zwar als Ergebnis des «antikolonialen Kampfs» beschreiben, doch Jugoslawiens Unterstützung des Globalen Südens war mindestens genauso eine Folge der affektiven Bindungen zwischen früheren Partisanenkämpfern und guerillageführten Befreiungsbewegungen sowie einer theoretischen Haltung, die den Zusammenhang zwischen politischer Unabhängigkeit und Antiimperialismus betonte.

Mit dem Aufstieg des Stalinismus, so könnte man argumentieren, löste sich das enge Band zwischen antikolonialem, antiimperialistischem und antikapitalistischem Kampf, woraufhin die Blockfreien zunehmend für ein unveräußerliches «Selbstbestimmungsrecht» eintraten und forderten, den neuen souveränen Staaten eine freie Entwicklung zu ermöglichen. Die BfB setzte sich für die Unabhängigkeit jedes noch so kleinen Kolonialstaats ein, leistete teilweise Unterstützung beim Kampf gegen die Kolonialherrschaft und warnte vor der Gefahr eines institutionalisierten und internalisierten Neokolonialismus. Gleichzeitig rief Jugoslawien zu «Entideologisierung» und zur Vermeidung jeglichen Hinweises auf «Radikalismus und Extremismus» auf. Dies deckte sich letztendlich mit Indiens Haltung, dass die im Entwurf des bei der Belgrader Konferenz ausgearbeiteten Kommuniqués enthaltene Forderung nach «Beseitigung des Kolonialismus» «zu stark» formuliert sei – trotz Titos Hadern mit dem, was er als Nehrus Restloyalität gegenüber den Briten betrachtete. (Archiv Jugoslawiens: KPR I-4-a/5)

Die Gründung des sozialistischen Jugoslawien lässt sich zwar als Ergebnis des «antikolonialen Kampfs» (Kirn 2019) beschreiben, doch Jugoslawiens Unterstützung des Globalen Südens war mindestens genauso eine Folge der affektiven Bindungen zwischen früheren Partisanenkämpfern und guerillageführten Befreiungsbewegungen sowie einer theoretischen Haltung, die den Zusammenhang zwischen politischer Unabhängigkeit und Antiimperialismus betonte. (Kardelj 1979) Kirn hat fraglos recht damit, die Verbindung antikolonialer und blockfreier Emanzipationsstrategien als «Öffnung neuer Horizonte und Entwicklung einer revolutionären politischen Subjektposition im globalen Maßstab» darzustellen. (Kirn 2019) Dieser Aspekt des blockfreien Internationalismus hat auch ein bedeutendes Nachleben gefunden, nämlich in Form des neuerwachten Interesses an den Querverbindungen zwischen europäischen und außereuropäischen sozialistischen und postsozialistischen Peripherien und postkolonialen Staaten. (Mark/Kalinovsky/Marung 2020)

Entscheidend für den heutigen linken Internationalismus ist, dass der Fokus der BfB auf Nord-Süd-Beziehungen mit einer anhaltenden scharfen Kritik an Rassismus und Apartheid (vor allem der in Südafrika) verbunden war. Beim 8. Blockfreien-Gipfel im simbabwischen Harare im September 1986 bekräftigte Samora Machel, dass die BfB die Apartheid als «eine institutionelle Verletzung sämtlicher Menschenrechte» verurteilte, und forderte mehr Unterstützung für den African National Congress und andere demokratische Kräfte «bei der Umsetzung antirassistischer Politik». (Machel 1987) Die rassifizierte Politik des sozialistischen Jugoslawiens gegenüber der Blockfreien-Bewegung ist weiterhin ein umstrittenes Thema. Catherine Baker verortet den jugoslawischen Antikolonialismus innerhalb eines zutiefst widersprüchlichen geopolitischen und rassifizierten Koordinatensystems: zugleich inner- und außerhalb Europas; betroffen und nicht betroffen vom Kolonialismus; weiß, jedoch «nicht ganz»; mit Blick auf andere BfB-Staaten teils weiterentwickelt, teils mit vergleichbarem Entwicklungsrückstand. (Baker 2018)

Entscheidend für den heutigen linken Internationalismus ist, dass der Fokus der BfB auf Nord-Süd-Beziehungen mit einer anhaltenden scharfen Kritik an Rassismus und Apartheid (vor allem der in Südafrika) verbunden war. Beim 8. Blockfreien-Gipfel im simbabwischen Harare im September 1986 bekräftigte Samora Machel, dass die BfB die Apartheid als «eine institutionelle Verletzung sämtlicher Menschenrechte» verurteilte, und forderte mehr Unterstützung für den African National Congress und andere demokratische Kräfte «bei der Umsetzung antirassistischer Politik». (Machel 1987) Die rassifizierte Politik des sozialistischen Jugoslawiens gegenüber der Blockfreien-Bewegung ist weiterhin ein umstrittenes Thema. Catherine Baker verortet den jugoslawischen Antikolonialismus innerhalb eines zutiefst widersprüchlichen geopolitischen und rassifizierten Koordinatensystems: zugleich inner- und außerhalb Europas; betroffen und nicht betroffen vom Kolonialismus; weiß, jedoch «nicht ganz»; mit Blick auf andere BfB-Staaten teils weiterentwickelt, teils mit vergleichbarem Entwicklungsrückstand. (Baker 2018)

Globale sozioökonomische Gerechtigkeit

Im Vorgriff auf heutige Debatten befasste sich die BfB auch mit globaler sozioökonomischer Gerechtigkeit, vor allem in Reaktion auf die wachsende neoliberale Globalisierung der 1970er Jahre. Auch in dieser Hinsicht bemühte man sich, ein Gleichgewicht zwischen «radikalen» und «moderaten» Stimmen herzustellen. (Willets 1981) Beim dritten Blockfreien-Gipfel im sambischen Lusaka im September 1970 befand man, dass «die Armut in Entwicklungsländern und ihre ökonomische Abhängigkeit von reicheren Ländern ein strukturelles Defizit der aktuellen Weltwirtschaftsordnung darstellen». Zudem schafften «das Fortbestehen eines ungerechten Weltwirtschaftssystems, das ein Erbe des Kolonialismus ist und mit dem heutigen Neokolonialismus fortgesetzt wird, kaum überwindbare Hürden bei der Befreiung vom Joch der Armut und den Fesseln ökonomischer Abhängigkeit». An die UN wurde appelliert, «internationale Mechanismen in Gang zu setzen, um eine schnelle Transformation der aktuellen Weltwirtschaftsordnung herbeizuführen, insbesondere in den Bereichen Handel, Finanzen und Technologie, damit wirtschaftliche Dominanz der wirtschaftlichen Zusammenarbeit weichen und wirtschaftliche Stärke der Weltgemeinschaft zugutekommen möge». (NAM 1971) Jugoslawien war damals führender Vertreter einer eher moderaten Position, weshalb Leo Mates argumentierte, dass «der Graben zwischen und Nord und Süd […] kein Konflikt zwischen antagonistischen gesellschaftlichen Kräften ist, sondern ein Disput zwischen Ländergruppen, die unterschiedliche kurzfristige, aber gemeinsame langfristige Interessen haben». (Mates 1972) Dieses Argument zielte offenbar auf eine Ausweitung des jugoslawischen Industrialisierungswunders ab, auf Modernisierung der Landwirtschaft, exportgestütztes Wachstum und die Fokussierung auf Güter, deren Marktpreisrelationen für Exportländer grundsätzlich vorteilhafter sind. Dass Mittel der Wahl war ein zweigleisiges Entwicklungsmodell, das fairere Handelsbeziehungen für einen Großteil der «Entwicklungsländer» vorsah sowie Hilfsleistungen für die am «schwächsten entwickelten» Länder. In einem Themenpapier, das im Vorfeld des Gipfels von Algiers im Jahr 1973 verfasst wurde, heißt es: «Als sozialistisches, blockfreies Entwicklungsland vertritt Jugoslawien […] den Standpunkt, dass die Hauptverantwortung für die sozioökonomische Entwicklung bei den Entwicklungsländern selbst liegt und an ihre eigenen Bemühungen zur Erreichung der Entwicklungsziele geknüpft ist». (Archiv Jugoslawiens: KPR I-4-a/12)

Als die Ölpreiskrise Anfang der 1970er Jahre die Einigkeit der Blockfreien auf die Probe stellte, plädierte Tito für die Einrichtung eines Fonds, in den die ölreichen Staaten einzahlen würden, um den 25 am schwächsten entwickelten Ländern zu helfen.

Als die Ölpreiskrise Anfang der 1970er Jahre die Einigkeit der Blockfreien auf die Probe stellte, (Bernard 2019) plädierte Tito für die Einrichtung eines Fonds, in den die ölreichen Staaten einzahlen würden, um den 25 am schwächsten entwickelten Ländern zu helfen. Er behielt dabei auch Jugoslawiens Situation im Auge und forderte stärkere Maßnahmen zur Schuldenabschreibung sowie spezielle Anreize, um jugoslawische Firmen zu Geschäften mit schwach entwickelten Staaten zu bewegen. Mit dem Aufruf zur «Liberalisierung der Marktbeziehungen», der Schwerpunktsetzung auf regionalen Handel und der Priorisierung von Infrastrukturprojekten mit «größerem Potenzial für kurzfristige Akkumulation» verknüpfte das sozialistische Jugoslawien seine Vision einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung mit der heimischen Wirtschaftspolitik. Trotz des jugoslawischen Instrumentalismus gelang es der BfB insgesamt, die globale Debatte – zu einem gewissen Grad – vom Ölpreis hin zur Bepreisung sämtlicher Rohstoffe zu öffnen und einen Diskursraum zu schaffen, in dem Fragen der globalen Finanzmärkte, der Geldpolitik, der Rolle multinationaler Konzerne und des Zugangs zu wissenschaftlichen und technischen Innovationen diskutiert werden konnten.

Eine institutionelle Kopplung von «sozialistischer» und «neoklassischer» Globalisierung (Bockman 2011) folgte mit den G-77, der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD), der UN-Wirtschaftskommission für Europa (von 1960 bis 1982 unter der Leitung jugoslawischer Diplomaten) (Spaskovska 2020) und nicht zuletzt dem, was als Neue Weltwirtschaftsordnung (NWWO) bekannt geworden ist. (Bockman 2015) In diesem Rahmen folgte man einem evolutionistischen und staatszentrierten Modell der Entwicklung, (Ramšak 2020) das die in heutigen Debatten verhandelten Widersprüche in Bezug auf «nachhaltige Entwicklung» bereits erkennen ließ, wobei man nicht auf Themen wie Klimawandel oder planetarische Grenzen zu sprechen kam. Ohne übermäßig auf Selbstverwaltung oder das jugoslawische Sozialstaatsmodell zu drängen, (Stubbs 2018) brachte diese Vision sozioökonomischer Gerechtigkeit, die bestimmte Formen von Regulierung, Rechten und Umverteilung (Deacon/Hulse/Stubbs 1997) artikulierte, die Konturen eines Raumgefüges zum Vorschein, das zwar nicht wirklich global war, aber über bloßen Regionalismus hinausging. (Stubbs/Kaasch 2014)

Für eine friedliche Welt ohne Atomwaffen

Einen Tag vor Eröffnung der Belgrader Konferenz zündete die Sowjetunion eine Atomwaffe am nördlichen Polarkreis – der Beginn eines weiteren Testprogramms. Für die Blockfreien war das eine deutliche Mahnung, entgegen der Aufteilung der Welt in zwei Machtblöcke als «moralische Instanz», (Jansen 1966) die für «allgemeine und vollständige Abrüstung» eintritt, aufzutreten. (Tito 1963) Der Auftrag der BfB, die atomare Vormachtstellung der Supermächte sowie Militarismus und Wettrüsten zu beenden, war eng verbunden mit den Prinzipien der Selbstbestimmung, der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten und vor allem auch der Streichung von Waffenausgaben zugunsten der Überwindung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Nöte. (Singham/Hune 1986) Allerdings verkaufte das sozialistische Jugoslawien zugleich eigenproduzierte Waffen an andere blockfreie Staaten und fungierte als Zwischenhändler bei Waffenverkäufen. (Mangassarian 1992)

Zu den seit Bandung entwickelten Gründungsprinzipien der BfB gehörte das Ziel der friedlichen Lösung sämtlicher bewaffneter Konflikte in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen.

Zu den seit Bandung entwickelten Gründungsprinzipien der BfB gehörte das Ziel der friedlichen Lösung sämtlicher bewaffneter Konflikte in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen. In Hinblick auf atomare Nichtverbreitung und das Gebot friedlicher Konfliktlösung verfolgte die BfB dabei schon immer eine Mischung aus Prinzipientreue und Pragmatismus. (Potter/Mukhatzhanova 2012) Manchmal bot man bei bewaffneten Konflikten Unterstützung an; allzu oft war man unfähig, einen Frieden auszuhandeln, wenn in oder zwischen Blockfreien-Staaten Konflikte entbrannten; und man agierte inkonsequent, wenn die Sowjetunion, die USA, China oder gar der Blockfreien-Staat Kuba andere Länder militärisch bedrohten. (Jakovina 2011) Die prinzipielle Ablehnung von atomarer Verbreitung und bewaffnetem Konflikt ist aber auch in der heutigen Welt so bedeutend wie zu Zeiten des Kalten Krieges, genauso wie der Blockfreien-Bewegung ihre anhaltende Beschäftigung mit der Lage Palästinas hoch anzurechnen ist.

Reform der Vereinten Nationen

Heutzutage wird gerne vorgebracht, dass eine progressive Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sowie die Friedensförderung in einer vernetzten Welt auf ein zweckgemäßes System der Global Governance angewiesen sind und dass die Vereinten Nationen in ihrer jetzigen Form diesem Anspruch nicht gerecht werden. (O` Brien 2000; Deacon 2007) Als Tito 1970 am Rande des vierten Blockfreien-Gipfels in Lusaka gegenüber Haile Selassie anmerkte, dass «die halbe UN hier ist», war seine Feststellung etwas voreilig. (Archiv Jugoslawiens: KPR I-4-a/9) Am Gipfel von Algiers drei Jahre später nahmen 76 blockfreie Staaten teil, wobei die Gesamtzahl der UN-Mitgliedstaaten 135 betrug. Die BfB war zu keiner Zeit eine «UN-Zweigstelle» (Prashad 2007); vielmehr arbeiteten die Blockfreien, wie Amílcar Cabral bereits 1964 betonte, für die «Befreiung» der UN; Ziel war, ihre Strukturen radikal zu reformieren und erneuern, damit sich «ein Riese mit gefesselten Händen» zu einer Organisation wandeln könne, die solch «ehrenhaften Anliegen wie Freiheit, Brüderlichkeit, Fortschritt und dem Wohle der Menschheit» dient. (Cabral 1964) In der 1970 in Lusaka verabschiedeten Resolution wurde dieser Punkt deutlich hervorgehoben: «Die Konferenz ist überzeugt, dass es besonders wichtig ist, die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen zu stärken, damit sie auf wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Feldern eine wirksame Rolle spielen kann […]. Die anwesenden Länder drängen auf weitere Bemühungen, um eine gleichwertige geografische Vertretung in den unterschiedlichen UN-Organen und UN-Sonderorganisationen zu sichern.» (NAM 1971)

Der Fokus der BfB lag darauf, die UN universeller und ihre Organe repräsentativer zu gestalten, obgleich zur selben Zeit internationale Finanzinstitutionen zunehmend – und zunehmend intransparent – an Macht gewannen.

Der Fokus der BfB lag darauf, die UN universeller und ihre Organe repräsentativer zu gestalten, obgleich zur selben Zeit internationale Finanzinstitutionen zunehmend – und zunehmend intransparent – an Macht gewannen. In Hinblick auf die Rolle der Vetomächte im Sicherheitsrat setzte sich die BfB dafür ein, die Zahl der nichtständigen Mitglieder zu erhöhen. Ebenso forderte man eine höhere Mitgliederzahl für den Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) und mehr Machtbefugnisse für Generalversammlung und ECOSOC gegenüber dem Sicherheitsrat. Durch ihre Lobbyarbeit, ihr geschlossenes Votieren und das Koordinieren ihres Handelns im Vorfeld von UN-Generalversammlungen prägten die Blockfreien-Staaten eine Reihe von Entwicklungen: Die Gründung der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) im Jahr 1964; die prominente Stellung des Selbstbestimmungsrechts im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966; und sogar die Wiederaufnahme der Volksrepublik China in die UN im Jahr 1971. Jackson 1983) Auch das Engagement von staatsorientierten jugoslawischen Feministinnen wie Vida Tomšič im Rahmen der UN-Dekade der Frau (1975–1985) zeigt, wie wichtig es ist, progressive Forderungen in Bezug auf Frauenrechte, Arbeitsmärkte und soziale Sicherheit miteinander zu verknüpfen. (Bonfiglioli 2016)

Blockfreiheit von unten: Kulturelle Austauschprozesse

Schließlich gilt es auch die Bedeutung einer «Blockfreiheit von unten» zu würdigen, die manifest wurde in «Austauschprozessen im Bereich Wissenschaft, Kunst und Kultur, Architektur und Industriegestaltung» mit «zumindest gradueller Autonomie gegenüber dem politischen Metanarrativ», genauso wie in Jahrzehnten des Studierendenaustausches. (Stubbs 2019) Die 2019 erstmals in Ljubljana gezeigte Ausstellung Southern Constellations legte den Fokus auf die historische und aktuelle Bedeutung künstlerischer Austauschprozesse, die die Hegemonie westlicher Kunst und den Kulturimperialismus infrage stellen und zu kulturellem Pluralismus und Hybridität aufrufen. (Piškur 2019) Das Nachzeichnen der blockfreien Kulturnetzwerke ist ein wichtiger Akt der Dokumentation und Erinnerung in einer Zeit, in der der postjugoslawische Raum vor dem Hintergrund einer umfassenden «Europäisierung» oft nur als «Peripherie» wahrgenommen wird. Das, was man als «das Nachleben der weltweiten blockfreien Verflechtungen Jugoslawiens» (Henig 2019) beschrieben hat und was heute noch in Solidarität und Unterstützung auf der sogenannten «Balkanroute» durchscheint, fordert weiterhin eine von Grenzen und Ausschlussmechanismen beherrschte Welt heraus und erlaubt uns zugleich, unsere Auseinandersetzung mit «anderen Hoffnungs- und Handlungshorizonten» fortzusetzen, in denen «eine andere Welt möglich ist». (Ebd.)

Multilateralismus, wohin des Weges?

Die Beschäftigung mit der Blockfreien-Bewegung während des Kalten Krieges ist hilfreich, um das dominante Narrativ zu durchbrechen, dass eine bipolare Weltordnung durch ein multipolares System ersetzt worden wäre. Die Idee, dass ein hierarchisch organisiertes Bündnis neutraler Nationalstaaten eine Art Oppositionsmonopol gegen hegemoniale Bedrohungen des Selbstbestimmungsrechts hat, mag mittlerweile überholt erscheinen, doch die Lehren aus der Blockfreien-Geschichte können weiterhin emanzipatorische Vorstellungswelten evozieren. Vor allem mit Blick auf die Blockfreien-Hochphase wird deutlich, wie wichtig es ist, den Widerstand gegen die globale Unordnung im Rahmen eines «lose geknüpften, weltweiten Netzwerks internationalistischer und antiimperialistischer Bewegungen» aufzubauen. (Wyss 2016) Die BfB gemahnt uns heute jedenfalls an die Dringlichkeit einer multilateralen internationalen Ordnung, die auf gemeinsam beschlossenen Regeln basiert, und an die Notwendigkeit, «Staub aufzuwirbeln», wann immer Ideal und Wirklichkeit auf unerträgliche Weise auseinanderklaffen. (Fejić 2020) In der heutigen Welt multipler Supermächte sind die Neuformulierung «politisierter Neutralität» und internationalistischer Solidaritäten, die sowohl die Hegemonie nördlicher und westlicher Staaten als auch die imperialen Ambitionen Chinas und Russlands infrage stellen, zudem nicht auf Fehlannahmen zur «Überlegenheit» eurozentrischer Konzepte, Traditionen und Praktiken bauen, zweifellos wichtiger als je zuvor. (Vesić 2018)

Weiterführende Literatur:

  • Archiv Jugoslawiens, Belgrad: KPR I-4-a/12, Dokument über die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der SFRJ und den Entwicklungsländern, 22. März 1973.
  • Archiv Jugoslawiens, Belgrad: KPR I-4-a/5.
  • Archiv Jugoslawiens, Belgrad: KPR I-4-a/9.
  • Baker, Catherine (2018): Race and the Yugoslav Region: Postsocialist, Post-Conflict, Postcolonial? Manchester: Manchester University Press.
  • Bernard, Sara (2019): Oil Shocks, Migration and European Integration: A (Trans)National Perspective on the Yugoslav Crises of the 1980s, in: National Identities,21 (5), S. 463–484.
  • Bockman, Johanna (2011): Markets in the Name of Socialism: The Left-Wing Origins of Neoliberalism. Stanford: Stanford University Press.
  • - (2015): Socialist Globalization Against Capitalist Neocolonialism: The Economic Ideas behind the New International Economic Order, in: Humanity, 20. April 2015.
  • Bonfiglioli, Chiara (2016): On Vida Tomšič, Marxist Feminism and Agency, in: Aspasia, 10, S. 145–151.
  • Cabral, Amílcar (1964): National Liberation and Peace, Cornerstones of Non-Alignment, in: Extracts from a Speech Made in Cairo to the 2nd Conference of Non-Aligned Countries.
  • Deacon, Bob (2007): Global Social Policy and Governance. London: Sage.
  • Deacon, Bob/Hulse, Michelle/Stubbs, Paul Stubbs (1997): Global Social Policy: International Organizations and the Future of Welfare. London: Sage.
  • Dinkel, Jürgen (2019): The Non-Aligned Movement: Genesis, Organization and Politics (1927–1992). Leiden: Brill.
  • Fejić, Goran (2020): The Demise of (State) Multilateralism in a Multi-Polar World, in: Ici et ailleurs, 14. Januar 2020.
  • Henig, David (Nov. 2019): New Borders, Old Solidarities: (Post-) Cold War Genealogies of Mobility along the «Balkan Route». Vortrag beim American Anthropological Association Congress, Vancouver, Kanada.
  • Iveković, Rada (2002): Über permanente Übersetzung (Wir werden übersetzt), übers. v. Hito Steyerl, in: Transversal, Juni 2002.
  • Iveković, Rada (2005): Transborder Translating, in: Eurozine, 14. Januar 2005, S. 2.
  • Jackson, Richard (1983): The Non-Aligned, the UN and the Superpowers. New York: Praeger.
  • Jakovina, Tvrtko (2011): Tito’s Yugoslavia as the Pivotal State of the Non-Aligned, in: Institut za noviju istoriju Srbije (Hrsg.): Tito – viđenja i tumačenja: zbornik radova. Belgrad: INS, S. 389–404.
  • Jansen, G. H. (1966): Nonalignment and the Afro-Asian States. New York: Praeger.
  • Kardelj, Edvard (1979): The Historical Roots of Non-Alignment. Belgrad: STP.
  • Kirn, Gal (2019): Partisan Ruptures: Self-Management, Market Reform and the Spectre of Socialist Yugoslavia. London: Pluto.
  • Machel, Samora (1987): Apartheid Must Be Eradicated, in: The Black Scholar,18 (2), S. 25–33.
  • Mangassarian, Leon (1992): Independence or Dependence? The Arms Industries in Israel, South Africa and Yugoslavia during the Cold War. Dissertation, London: LSE.
  • Mark, James/Kalinovsky, Artemy M./Marung, Steffi (Hrsg.) (2020): Alternative Globalizations: Eastern Europe and the Postcolonial World. Indiana: University Press.
  • Mates, Leo (1972): Nonalignment. Theory and Current Politics. Belgrad: Institut für internationale Politik und Wirtschaft.
  • Non-Aligned Movement (1971): Resolutions of the Third Conference of Non-Aligned States, Lusaka. Johannesburg: The South African Institute of International Affairs.
  • O’Brien, Robert et al (2000): Contesting Global Governance: Multilateral Economic Institutions and Global Social Movements. Cambridge: University Press, 2000.
  • Piškur, Bojana (2019): Southern Constellations: Other Histories, Other Modernities, in: Southern Constellations: The Poetics of the Non-Aligned. Ljubljana: Moderna Galerija, S. 9–24.
  • Potter, William/Mukhatzhanova, Gaukhar (2012): Nuclear Politics and the Non-Aligned Movement: Principles v. Pragmatism. London: IISS.
  • Prashad, Vijay (2007): The Darker Nations: A Biography of the Short-Lived Third World. New Delhi: LeftWord.
  • Ramšak, Jure (ersch. 2020): Yugoslavia and Economic Cooperation with Developing Countries: An Attempt to Change North-South Dynamics, in: Nationalities Papers.
  • Ross, Kristin (2002): May ’68 and its Afterlives. Chicago: Chicago University Press.
  • Singham, A. W./Hune, Shirley (1986): Non-Alignment in an Age of Alignments. London: Zed.
  • Spaskovska, Ljubica (ersch. 2020): Constructing the «City of International Solidarity»: Non-Aligned Internationalism, the United Nations and Visions of Development, Modernism and Solidarity, 1955–1975, in: Nationalities Papers.
  • Stubbs, Paul (2018): Reflections on Marxism and Welfare: East and West, in: LeftEast, 7. November 2018.
  • Stubbs, Paul (2019): Socialist Yugoslavia and the Antinomies of the Non-Aligned Movement, in: LeftEast, 17. Juni 2019; Bockman, Johanna (2016): A Variety of Globalizations, in: The Sociologist, 4. Januar 2016.
  • Stubbs, Paul/Kaasch, Alexandra (2014): Global and Regional Social Policy Transformations: Contextualizing the Contribution of Bob Deacon, in: Kaasch, A./Stubbs, P. (Hrsg.): Transformations in Global and Regional Social Policies. Basingstoke: Palgrave Macmillan, S. 1–16.
  • Tito, Josip Broz (1963): Selected Speeches and Articles, 1941–1961. Zagreb: Naprijed, S. 334.
  • Vesić, Jelena/O’Reilly, Rachel/Jerić Vlidi, Vladimir (2018): On Neutrality, in: Non-Aligned Modernisms, Band 6. Belgrad: Museum of Contemporary Art.
  • Willetts, Peter (1981): The Non-Aligned in Havana. London: Frances Pinter.
  • Willetts, Peter (1978): The Non-Aligned Movement: The Origins of a Third World Alliance. London: Pinter.
  • Wyss, Marco et al (2016): Introduction: A Tightrope Walk – Neutrality and Neutralism in the Global Cold War, in: Bott, Sandra et al (Hrsg.): Neutrality and Neutralism in the Global Cold War: Between or Within the Blocs. London: Routledge, S. 1–14.
  • Yeates, Nicola (2014): The Socialization of Regionalism and the Regionalization of Social Policy: Contexts, Imperatives and Challenges”, in: Kaasch, A./Stubbs, P. (Hrsg.): Transformations in Global and Regional Social Policies. Basingstoke: Palgrave Macmillan, S. 17–43.

Die Antifaschistische Frauenfront

Von Tijana Okić

Die Antifaschistische Frauenfront [Antifašistička fronta žena ‒ AFŽ] war die größte revolutionäre Frauenorganisation, die es außerhalb von Russland oder Chinas jemals gab. Heute von den revisionistischen Strömungen in Jugoslawien weitgehend vergessen, stellte sie in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg einen organisatorischen Höhepunkt der gesamten Linken Jugoslawiens dar. Die alte, patriarchale Gesellschaft wurde durch wirtschaftliche Veränderungen und politische Herausforderungen erschüttert, dabei blühten insbesondere feministische Bewegungen auf. Ohne diese Bewegungen wäre die umfassende Mobilisierung des AFŽ während des Zweiten Weltkrieges schwer vorstellbar gewesen. Offiziellen Zahlen zufolge nahmen etwa zwei Millionen Frauen am Volksbefreiungskampf teil, 100.000 kämpften als Partisaninnen, 2.000 von ihnen erreichten den Rang eines Offiziers, 25.000 wurden getötet und über 40.000 im Kampf verwundet.

Der erste AFŽ-Kongress fand am 6. Dezember 1942 im Städtchen Bosanski Petrovac statt. Obwohl die Kommunisten durchaus auf eine reiche Tradition in der Frage der Frauenbefreiung zurückgreifen konnten, wurden ihre Aktivitäten durch die einsetzende Repression nach 1920 und die Arbeit in der Illegalität behindert. Nach 1935 fanden die jugoslawischen Kommunisten, im Einklang mit der Volksfrontpolitik der Komintern, eine tragfähige Formel: Frauenorganisationen bekamen den Auftrag, eine allumfassende Frauenallianz für den Kampf gegen den Faschismus und für die Gleichberechtigung der Frauen zu propagieren. Die Frauenbewegung bildete sozusagen die Kinderstube für junge weibliche KPJ-Kader, die sie später in die AFŽ führte. Tito erkannte die fundamentale Bedeutung der Frauenkader für die Partei an und betrachtete sie als eine mögliche alternative Führung im Falle einer militärischen Generalmobilmachung. Mit der Okkupation des Landes rief die KPJ zur Aktivierung und Einbeziehung aller Frauen, ungeachtet ihrer politischen, nationalen, religiösen oder Klassenzugehörigkeit, in den Volksbefreiungskampf auf.

Die Antifaschistische Frauenfront
Illustration: KURS-kolektiv

Organisatorische Struktur des AFŽ

Die AFŽ war hierarchisch strukturiert, von höheren hin zu niedrigeren Komitees absteigend, die ihren Aufgaben nach funktional differenziert waren, so dass beispielsweise das Zentralkomitee für Außenpolitik für die allgemeinen Richtlinien sowie die Überwachung der Arbeit von Unterausschüssen verantwortlich war – z.B. die Mutter-Kind-Sektion, kulturelle Propaganda und Gesundheit. Die Organisation selbst war der Volksfront, und somit direkt dem ZK der KPJ unterstellt.

Die erste Aufgabe der AFŽ war es, Frauen für und im Kampf zu mobilisieren, denn ohne Frauen hätte die Mobilisierung für den Kampf nicht zu einem landesweiten Volksaufstand anwachsen können.

Die erste Aufgabe der AFŽ war es, Frauen für und im Kampf zu mobilisieren, denn ohne Frauen hätte die Mobilisierung für den Kampf nicht zu einem landesweiten Volksaufstand anwachsen können. Ohne die Bauernschaft, die den größten Teil der Bevölkerung ausmachte, war es schlichtweg unmöglich, eine allgemeine Mobilisierung der Bevölkerung zu erreichen. Die AFŽ erwies sich als ein unentbehrliches Element, um die Bauernschaft für den Volksbefreiungskampf zu gewinnen. Das entscheidende Moment dabei war die Verkündigung der Gleichheit zwischen Männern und Frauen, die Verschmelzung der früheren lokalen revolutionären Traditionen und südslawischer Folklore, das Versprechen sozialer Gerechtigkeit und einer besseren Zukunft, die das Alte beenden und eine neue Ordnung schaffen sollte. Während des Krieges kümmerten sich die Mitglieder der AFŽ vor allem um die Arbeit im Hinterland, halfen Verwundeten und Waisen, wuschen, bestellten Ackerland, um die Armee zu versorgen, nahmen aber auch an der Front im bewaffneten Kampf Teil.

Aktionsfelder

Das Frauenwahlrecht wurde aus der aktiven Teilnahme von Frauen und Männern in der Volksbefreiungsbewegung geboren. Die AFŽ mobilisierte Frauen, zuerst in den befreiten Gebieten, dann auch bei den ersten, auf einem allgemeinen Wahlrecht beruhenden jugoslawischen Wahlen, zur Wahlteilnahme und ermutigte sie, sich selbst als Kandidatinnen aufstellen zu lassen.

Nach dem Ende des Krieges engagierten sich Frauen intensiv beim Aufbau einer neuen Gesellschaft.

Nach dem Ende des Krieges engagierten sich, vermittelt über die Antifaschistische Frauenfront, Frauen intensiv beim Aufbau einer neuen Gesellschaft. Durch die Arbeit ihrer Mutter-Kind-, Kultur-, Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitssektionen stellten sie ihre weibliche Arbeitskraft zur Verfügung, die für den Wiederaufbau des Landes dringend benötigt wurde. Sie organisierten und bereiteten Wahlen vor, waren an der Errichtung von Infrastruktur und neuen Gebäuden beteiligt, ebenso an Massenaktionen, in denen Alphabetisierungskurse in Dörfern und auf dem Land stattfanden. Es wurden Vorlesungen über Hauswirtschaft, Haushalt, Hygiene, Prävention von Infektionskrankheiten, Methoden der Kinderbetreuung, Aberglauben und Hebammenkurse organisiert und durchgeführt.

Organisatorische Auflösung der Antifaschistischen Frauenfront

Trotz, oder gerade wegen dieser immensen Anstrengungen wurde die Antifaschistische Frauenfront durch ihre völlige Unterordnung unter die Volksfrontpolitik allmählich geschwächt. Nach dem Tito-Stalin-Konflikt von 1948, der Einführung der Selbstverwaltung und einer Rückkehr zur Marktwirtschaft [1], begann der langsame, durch äußere und innere Zwänge induzierte Zerfallsprozess der AFŽ. Die KPJ übertrug die Aufgaben der Antifaschistischen Frauenfront nach und nach an die Volksfront- und Jugendorganisationen. Die Einführung des Marktes erhöhte den Druck auf das formale Ziel der Gleichheit ungemein.

Im Jahr 1953 wurde schließlich mit der Antifaschistischen Frauenfront eine Organisation aufgelöst, die für den Erfolg des revolutionären Umsturzes mitverantwortlich war.

Die 1947 verabschiedete und 1949 geänderte Gesetzgebung gewährte den Frauen zwar erhebliche Beschäftigungsrechte. Als diese für profitorientierte jugoslawische Unternehmen jedoch zu teuer wurden, betrafen die folgenden Entlassungswellen vor allem die Frauen. Im Jahr 1953 wurde schließlich mit der Antifaschistischen Frauenfront eine Organisation aufgelöst, die für den Erfolg des revolutionären Umsturzes mitverantwortlich war, und zwar unter dem Vorwand, dass die «Gleichheit zwischen Mann und Frau» nun erreicht worden sei. Die neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ebneten in Jugoslawien den Weg für eine ungleiche Entwicklung, welche die folgenden wirtschaftlichen und sozialen Prozesse bestimmen sollte. Frauen, die Motoren der jugoslawischen Revolution, wurden zwar als gleichwertig betrachtet, waren aber von einem Leben in wahrer Gleichheit weit entfernt.

[1] Der Charakter der eingeleiteten Wirtschaftsreformen und des jugoslawischen Wirtschaftssystems ist Gegenstand anhaltender Debatten. Die hier vorgenommene Qualifikation als «Marktwirtschaft» bildet keine Konsensmeinung ab, sondern lediglich die Einschätzung der Autorin.

Tijana Okić, geboren in Sarajevo, ist Philosophin und lebt in Pisa.

Weiterführende Literatur:

  • Andreja Dugandžić/Tijana Okić (2018):The Lost Revolution. Women`s Antifascist Front – Between Myth and Forgetting. Sarajevo/Belgrad: Crvena/Rosa Luxemburg Stiftung Southeast Europe.
  • Jelena Batinić (2016): Women and Yugoslav Partisans. A History of World War II Resistance. New York: Cambridge University Press.

Verlorene Gleichberechtigung. Die Roma im sozialistischen Jugoslawien

Von Milovan Pisarri

Zur gesellschaftlichen Lage und Stellung der Roma im sozialistischen Jugoslawien existieren keine größeren Studien, ein Interesse an dieser Frage ist kaum erkennbar. Um an belastbare Informationen und Zahlenmaterial zu gelangen, müsste umfangreich geforscht werden – es müssten alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens der Roma-Bevölkerung untersucht werden, auch müsste die offizielle Staatspolitik, sowohl auf Bundes- als auch auf Republikebene untersucht werden. Der Verständlichkeit wegen müssten auch Vergleiche zur Situation vor dem Zweiten Weltkrieg angestellt werden, als auch zu den Geschehnissen während des Zweiten Weltkrieges, in dessen Verlauf die Roma-Bevölkerung in vielen Teilen Jugoslawiens als Folge des Genozids – vor allem durch die Politik der Ustaša und der Okkupationsregime – auf ein Zehntel gesunken ist. Die Roma waren am Vorabend des Zweiten Weltkrieges extrem arm, marginalisiert, ohne jegliche Anerkennung als Minderheit; aus dem Zweiten Weltkrieg kamen sie als Opfer schrecklicher Verfolgungen, jedoch in einen neuen Staat, in dem Gleichberechtigung zum ersten Mal auch für sie etwas reales darstellte.

Verlorene Gleichberechtigung. Die Roma im sozialistischen Jugoslawien
Illustration: KURS-kolektiv

Arbeitswelt und soziale Anerkennung

Milka Đorđević war ein junges Mädchen, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, geboren in einer armen Roma-Familie aus Kragujevac. Sie verlor ihre Eltern, begann zu betteln, und überlebte irgendwie den Krieg. Nach 1945 heiratete sie und bekam eine Anstellung in der neuerrichteten Industrie. Sie verrichtete schwere Arbeit, doch recht schnell wurde sie auf Wunsch des Direktors in die Verwaltung versetzt da er meinte, die schwere Arbeit wäre nichts für sie. Sie arbeitete, bekam eine Wohnung, lebte wie alle jugoslawischen Bürger. Sie bekam erst einen Sohn, dann eine Tochter. Sie ließ sich scheiden. Aufgrund ihrer beruflichen Verdienste wurde sie zur «Stoßarbeiterin» ernannt. Sie arbeitete, unterhielt die Familie und verdiente sich eine Rente. Milkas Geschichte charakterisiert auf eine sehr einfache Art und Weise die grundsätzlichen Änderungen im Status der Roma im sozialistischen Jugoslawien. Roma bekamen zum ersten Mal überhaupt die gleichen Möglichkeit wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger: sie fanden eine Anstellung, ihre Arbeit wurde wertgeschätzt und ihre Kinder konnten die Schule besuchen. Die Roma genossen die gleichen Rechte wie alle anderen: das Recht auf Wohnraum, auf Arbeit, Urlaub, kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung sowie gewerkschaftliche Ferienhäuser. All dies geschah zur Zeit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, insbesondere in den 1960er- und 1970er Jahren.

Roma bekamen zum ersten Mal überhaupt die gleichen Möglichkeit wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger

Zu dieser Zeit waren die jugoslawischen Roma-VertreterInnen wichtige TeilnehmerInnen auf dem Weltkongress der Roma, der bedeutendsten Roma-Vertretung weltweit, hier konnten sie auch über die Verbesserung der Lage der Roma in ihrem Heimatland berichten.

Gesellschaftliche Gleichstellung

Schon zu Beginn der 1960er Jahre wurde den Roma das Recht auf freie Äußerung ihrer ethnischen und politischen Identität garantiert. Slobodan Berberski, Schriftsteller, Rom und Kommunist (ein sogenannter Erstkämpfer im jugoslawischen Volksbefreiungskampf), Mitglied des ZK des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, verkündete 1969, dass die jugoslawischen Roma eine Organisation gründen werden um den Roma den Status einer «Nation» zu ermöglichen. Nach der Gründung der «Roma-Vereinigung» entstanden verschiedene Roma-Kulturzentren in ganz Jugoslawien, zu Beginn der 1970er Jahre gab es schon über 60 solcher Zentren in ganz Jugoslawien. Im mazedonischen Tetovo gab es einen Roma-Radiosender, in der Vojvodina wurden bald danach erste Fernsehsendungen auf Romanes emittiert – was sich wiederum positiv auf das Bildungsniveau der Roma-Bevölkerung auswirken sollte. Die Verfassung von 1974 regelte abschließend den Status und die Rechte der Minderheiten, sie erhielten beispielsweise das Recht auf Schulunterricht in ihrer Muttersprache. Die Möglichkeiten kostenloser Bildung, soziale Unterstützung und Beschäftigung waren der Schlüssel für den Emanzipationsprozess und die Formierung einer neuen, gebildeten Roma-Elite. Gleichzeitig sorgten sie für ein Gefühl der Sicherheit, welches die Roma-Bevölkerung bis dahin niemals hat erfahren können. Das emanzipatorische Potential der neuen, sozialistischen Verfassung wirkte sich auch auf das Verhältnis gegenüber den Roma aus, schließlich war die soziale Distanz zu ihnen nach wie vor enorm. Viele Roma wurden durch die neuen Massenmedien und ihre Musik zu Berühmtheiten im gesamten Jugoslawien. Die Kinematografie spielte – auch wenn wir heutzutage sicherlich viele kritische Anmerkungen insbesondere im Hinblick auf Menschen- und Minderheitenrechte hätten – durch den Film «Ich traf glückliche Zigeuner» von 1967 gar eine entscheidende Rolle. Dieser Film gehört zu den wichtigsten Vertretern der sogenannten «Schwarzen Welle» im jugoslawischen Kino und wurde mit unzähligen Auszeichnungen im In- und Ausland bedacht. Er behandelt zum ersten Mal offen die gesellschaftliche Stellung der Roma und erzählt aus ihrem Leben.

Politische Rechte und das Ende Jugoslawiens

All dies kam einer Revolution im gesellschaftlichen Leben der Roma gleich, bedeutete im Umkehrschluss aber nicht, dass die vor allem sozialen Probleme und negativen Einstellungsmuster der Mehrheitsgesellschaft einfach verschwunden wären. Der Sozialismus stellte dennoch die beste Periode im Leben der Roma dar, und zwar aus dem einfachen Grund heraus, weil er sich für die generelle Gleichberechtigung zwischen den Völkern einsetzte und diese auch förderte, somit auch keine Unterschiede in Bezug auf die Roma machte.

Die Gesetzgebung, allen voran auf Bundesebene, garantierte die Gleichberechtigung.

Die Gesetzgebung, allen voran auf Bundesebene, garantierte die Gleichberechtigung. Natürlich war viel Zeit notwendig, bis diese Änderungen für die gesamte jugoslawische Roma-Bevölkerung eine reale Bedeutung erhielten (es existierten enorme innere Unterschiede, abhängig von der sozialen und wirtschaftlichen Situation in Jugoslawien), doch die Resultate waren in den 1980er Jahren mehr als augenscheinlich. Die Alphabetisierung und der Beschäftigungsgrad der Roma waren nie höher, in der politischen Sphäre waren 1984 allein in Serbien 53 Roma zu Mitgliedern von Stadt- und Bezirksausschüssen gewählt worden. Das zeugt nicht nur von Emanzipation, sondern auch von einem hohen Grad an politischer und gesellschaftlicher Inklusion.
Die Situation ändert sich jedoch mit dem Auseinanderfallen Jugoslawiens, den Kriegen und der kapitalistischen Transition drastisch. Die Roma verloren jene Sicherheit, die sie im Sozialismus hatten. Sie wurden, zusammen mit vielen anderen, zu Opfern einer neoliberalen Politik, die vieles von dem, was bis 1990 erreicht werden konnte, rückgängig gemacht und zerstört hat.

Weiterführende Literatur:

Widersprüche, Krise und Krach der jugoslawischen Wirtschaft

Von Domagoj Mihaljević

Das Ziel der kommunistischen Parteien in den sozialistischen Ländern war es, die Arbeiter durch die Taktik der Revolution unter einer Führung zu vereinigen,um dem Kapital, das den Markt dazu benutzt um die Arbeiterklasse zu spalten,somit damit Macht zu entreißen.Diese politische Einheit und Macht schaffte die Voraussetzung für die ökonomische Transformation der Gesellschaft. Diese Transformation bedeutete, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln (Land, Fabriken, Banken...) unter die Kontrolle des Staates und der Gesellschaft gestellt wurde, dass das Geld der Produktion untergeordnet wurde, und dass Krisen nicht mehr auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wurden.

Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien

Im jugoslawischen Fall resultierte diese ökonomische Transformation nach der Volksbefreiung und dem Sieg der Revolution im Zweiten Weltkrieg in der Einführung der Arbeiterselbstverwaltung. Die Arbeiter bekamen mit den Arbeiterräten die Möglichkeit, die Betriebe zu verwalten. Obwohl das Selbstverwaltungsrecht anfangs sehr begrenzt war und unter Kontrolle der Partei stand, weitete es sich mit der Zeit aus, und die Arbeiter konnten in immer größerem Umfang über neue Investitionen und das eigene Einkommen bestimmen.

Widersprüche, Krise und Krach der jugoslawischen Wirtschaft
Illustration:

Doch entgegen dieser offensichtlichen Unterschiede im Vergleich zu kapitalistischen Ländern, in denen mehrparteilich organisierte liberale Demokratien und kapitalistische Wirtschaft herrschten, mussten beide Systeme eine Antwort auf das gleiche Problem finden,sowohl kapitalistische als auch sozialistische Ökonomien waren also mit derselben Frage konfrontiert: wie kann die Anpassung an die immer größere Internationalisierung des Marktes vollzogen werden?

Der Bruch mit Stalin 1948 zwang Jugoslawien dazu, sich in größerem Maße dem Einfluss des internationalen Marktes auszusetzen. Überdies setzte sich in der Partei der («liberale») Reformflügel durch, der sich für eine stärkere Öffnung gegenüber den Prinzipien des internationalen Marktes einsetzte. Diese Umstände brachten die jugoslawische Wirtschaft in eine relativ ungünstige Stellung im Verhältnis zu jenen Ländern, die dem sowjetischen Block angehörten. Jugoslawien war einfach zu klein, um alle Schocks und Krisen, die vom globalen Markt einströmten, erfolgreich auszugleichen.

Liberalisierung der Wirtschaft

Je mehr sich die jugoslawische Wirtschaft öffnete, desto anfälliger war sie für globale Krisen, und umso mehr musste sie sich mit inneren Problemen auseinandersetzen. Dabei war und blieb der internationale Markt die primäre Arena für die Entwicklung der jugoslawischen Wirtschaft. Die Parteispitze reagierte auf die internationalen Entwicklungen mit zwei Strategien. Die bereits erwähnte («liberale») Reformstrategie, die dominant war, betonte den Exportsektor (Maschinen), die Anregung der Leichtindustrie, die Produktion von Konsumgütern und den Einzelhandel.

In den 1960er Jahren öffnete sich Jugoslawien intensiver für den internationalen Markt.

Doch die angespannten und veränderlichen Beziehungen auf dem Schachbrett des Kalten Krieges, sowie die infrastrukturelle Entwicklung ärmerer Landesteile, machten auch einen stetigen Fokus auf Kapitalgut, Rohstoffindustrie, militärische Ausrüstung und strategische Lebensmittel erforderlich. Diese beiden Strategien der Anpassung an die internationalen Bedingungen standen im Mittelpunkt der Debatten und Konflikte innerhalb der Partei. Solange der Zugang zu Ressourcen und Aufträgen auf dem internationalen Markt genügte, um einen Kompromiss zwischen den Befürwortern der jeweiligen Strategien herzustellen, konnte sich die jugoslawische Wirtschaft funktionell entwickeln. Es gab genug Geldmittel, um eine kompromissbasierte Umverteilung zu bewerkstelligen und um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der unterschiedlichen Regionen zu gewährleisten, wenn auch nicht mit gleicher Geschwindigkeit und Intensität.

In den 1960er Jahren öffnete sich Jugoslawien intensiver für den internationalen Markt. Dies resultierte jedoch nicht in einer stabilen internationalen Partizipation, stattdessen geriet die Wirtschaft unter den heftigen Einfluss der Kreisläufe in der globalen wirtschaftlichen Arena. Anstelle des Anwachsens sozialen Wohlstands, trat die Verstärkung von Ungleichheiten: zwischen Arbeiter_innen und Managern, zwischen den Unternehmen, zwischen den Sektoren, zwischen den Industriezweigen und den Regionen. Anstelle des Aufbaus solidarischer sozialistischer Gemeinschaften, eskalierten die gesellschaftlichen Spaltungen. Die Partei verlor kurzzeitig die Kontrolle, stellte aber Anfang der 1970er durch Säuberungen in der Partei die Autorität wieder her.

Internationale und jugoslawische Wirtschaftskrise

In den 1970ern treten die westlichen Ökonomien in eine Krisenperiode ein, was sich auch stark auf Jugoslawien auswirkte. Es musste sich nun in einem größeren Maße auf den Markt der blockfreien Staaten stützen, die innere ökonomische Stabilisierung gelang allerdings erst durch enorme Verschuldungen auf den internationalen Kreditmärkten. Die Netto-Schulden, die im Jahre 1971 2,7 Milliarden Dollar betrugen, wuchsen auf 17,3 Milliarden Dollar im Jahr 1980. Die 1970erJahre waren eine Zeitdes stabilen Wachstums des Sozialproduktes von über 5% im Jahr, doch wurde diese Entwicklung durch internationale Kredite finanziert.

In den 1980er Jahren mussten diese Schulden abbezahlt werden, und die Parteiführung ließ sich auf Druck des Internationalen Währungsfonds immer mehr auf die Logik des Kapitals ein. Eingefordert wurde ein einschneidendes Sparprogramm, um mehr Einkommen für das Abtragen der Schulden verwendenzu können, die Liberalisierung der Preise, die Einführung realerWechselkurse und Zinssätze, Einführung eines unabhängigen Banksektors, Bankrott ineffizienter Unternehmen. Innerhalb der Partei wurde es unmöglich, den Kompromiss der vergangenen Jahre weiter aufrechtzuerhalten. Gesellschaftliche, politische und parteiinterne Konflikte brachen auf, Streiks breiteten sich aus, und der jugoslawischen Regierung (dem föderalen Exekutivrat) gelang es nicht, alle geforderten Reformen durchzuführen. Widerstände gegen die ausgesprochen pro-kapitalistischen Reformen formierten sich in allen Republiken. Der Bund der Kommunisten Jugoslawiens brach letztendlich entlang der Republiklinien auseinander.

Auseinanderbrechen des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens

Die politische Führung Sloweniens, und später auch Kroatiens strebten danach, so schnell wie möglich aus dem zerrissenen jugoslawischen Staat auszutreten, die anderen, ärmeren Republiken taten sich jedoch schwerer damit, die Gemeinschaft zu verlassen. Die politische Führung der Republik Serbien forderteeine Re-Zentralisierung des Staates.In ihren politischen Zukunftskämpfen jedoch bot keine der Seiten ein als progressiv zu charakterisierendes Programm an. Stattdessen gründete sich der Konfliktauf tödlichen nationalistischen Mythologien,inspiriertvon im Zweiten Weltkrieg besiegten Kräften. Um die uneingeschränkte Macht über die Gesellschaft und die Ökonomie zu erringen, musste sich die Logik des Kapitals auf die aggressivste Form desNationalismus stützen. Letztendlich schuf die Wirtschaftskrise den Raum dafür, die ökonomischen Probleme ineine nationalistische Terminologie zu übersetzen, was sich Anfang der 1990er in der Katastrophe des Krieges manifestierte.

Zum Autor: Domagoj Mihaljević ist Ökonom und lebt in Zagreb.

Weiterführende Literatur:

  • Marie-Janine Calic (2010): Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck.
  • Susan L. Woodward (1995): Socialist Unemployment. The Political Economy of Yugoslavia, 1945-1990. Princeton: Princeton University Press.

Bürgerkrieg und Enteignung – die Zerstörung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien

Von Krunoslav Stojaković

Wie konnte es in Jugoslawien, dem Land mit der größten antifaschistischen Bewegung während des Zweiten Weltkriegs, zum blutigen Bürgerkrieg zwischen seinen Teilrepubliken kommen? Was waren die Ursachen, die zur gewaltsamen Verkehrung des staatstragenden Mottos «Brüderlichkeit und Einheit» führten? Warum erfuhren Solidarität, das ökonomische und demokratische Eigeninteresse der Arbeiterklasse eine Niederlage? Wie konnte es zu einer derart radikalen ideologischen Revision kommen, und wie wurde sie in die Tat umgesetzt?

An Erklärungsansätzen mangelt es nicht, ihre die allgemeine Öffentlichkeit dominierenden Positionierungen verlaufen entweder entlang der These, die jugoslawischen Völker, und hier insbesondere Serben und Kroaten, seien zu einem Zusammenleben nicht fähig oder willens, bzw. Konflikte und Nationalismus seien ein geradezu spezifisches Problem des Balkans. Oder aber die Argumentation verläuft entlang einer teils expliziten, teils impliziten antikommunistischen Grundthese, die besagt, das sozialistische Jugoslawien sei lediglich durch die ‹eiserne› Hand seines Präsidenten Tito und eine monolithische Staatspartei zusammengehalten worden.

Bürgerkrieg und Enteignung – die Zerstörung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
Illustration: KURS-kolektiv

Deutungsvorhaben, die einem solchen Zerfallsdeterminismus zu entgehen versuchen, müssen notwendigerweise historisch weiter ausholen, müssen den Entwicklungsgang verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Aushandlungs- und Änderungsprozesse in den Blick nehmen um zu jenen Kräfteverhältnissen zu gelangen, die sich Ende der 1980er Jahre formiert und den Boden für den Krieg bereitet haben. Figuren wie Slobodan Milošević oder Franjo Tuđman, um nur die beiden öffentlich markantesten Akteure zu nennen, sind Produkte und Vertreter spezifischer Klassen- und Machtinteressen einer krisengeplagten jugoslawischen Gesellschaft. Sie sind weder zufällig in die politische Arena gespült worden, noch waren sie unvermeidbar. Auch der Krieg, den sie mit ihrem politischen und militärischen Machtapparat zu verantworten haben, ist weder unerklärlich, noch eine logische Konsequenz gewesen. Dahinter verbargen sich die ökonomischen und sozialen Interessen einer technokratischen «Mittelklasse», die in einer Phase galoppierender De-Legitimierung des sozialistischen Projektes und seiner Ideologie ihre politische und ökonomische Dominanz sichern bzw. auszubauen trachtete. Wie abgekoppelt diese Prozesse zunächst noch von den materiellen Interessen der jugoslawischen Arbeiterklasse waren, zeigt etwa der Streik der Arbeiterinnen und Arbeiter des in Vukovar gelegenen Textilkombinats Borovo, eines Giganten mit über 22.000 Beschäftigten. Mitte 1988, als nach einer Reihe liberaler Wirtschaftsreformen, zumeist auf Druck des Internationalen Währungsfonds, die Gefahr von Massenentlassungen drohte, machten sich zwischen 1500 und 2000 Arbeiterinnen und Arbeiter zu Fuß auf den Weg in die jugoslawische Hauptstadt Belgrad, um vor dem Regierungsgebäude für bessere Löhne und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren. Die Streikenden, deren Zahl im Laufe der Zeit auf etwa 5000 anwuchs, wurden, übereinstimmenden zeitgenössischen Medienberichten und Untersuchungen zufolge, von einem massiven Polizeiaufgebot, teils sogar gewaltsam, von der Belgrader Bevölkerung getrennt um eine Solidarisierung zu verhindern. Die Parole der Streikenden war: «Wir wollen Lohn und Brot». Keine drei Jahre danach werden die Ortschaft Borovo selo und die Stadt Vukovar zu Synonymen für den jugoslawischen Bürgerkrieg.

Soziale Basis

Welche Prozesse und Interessen bewirkten aber den Umschwung von einer solidarischen, übernationalen und klassenbewussten Position hin zu ethnischer Gewalt, nationaler Spaltung und Bürgerkrieg? Untersuchungen zum Textilkombinat Borovo zeigen ebenfalls, wie während eines weiteren Streiks im Juni 1990 Vertreter der nationalkonservativen Tuđman-Partei HDZ gezielt nationalistische Propaganda betrieben haben, um die Arbeiterschaft zu spalten. An dieser Propaganda direkt beteiligt war z.B. Tomislav Merčep, im kurz darauf folgenden Krieg Kommandant einer paramilitärischen Einheit und verurteilter kroatischer Kriegsverbrecher. Zu einer materiellen Kraft in großen Teilen der Arbeiterklasse konnte die nationalistische Ideologie aber vor allem werden, weil das sozialistische Projekt sowohl national als auch international in einer allumfassenden Legitimationskrise steckte. Das sozialistische System, bzw. das was von ihm Ende der 1980er Jahre noch übriggeblieben war, konnte den Lebensstandard der jugoslawischen Arbeiterklasse nicht mehr garantieren. Vor allem die wohlhabenderen nördlichen Republiken Slowenien und Kroatien beklagten eine zu hohe Transferlast an die ärmeren Teilrepubliken, der Austritt aus der jugoslawischen Föderation wurde als Chance dargestellt, sich ökonomisch und sozial, aber eben innerhalb eines nationalen Rahmens, weiter zu entwickeln. Diese Prozesse gingen Hand in Hand mit der weltweiten ideologischen Großwetterlage, die nicht nur ein Ende des Sozialismus, sondern wahlweise auch ein Ende der Geschichte und den endgültigen Triumph kapitalistischer Produktionsverhältnisse bescheinigte.

Obwohl wir uns an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit mit den beschriebenen Elementen dieser Prozesse beschäftigen können, dies auch gar nicht das Ziel dieses Textes ist, lässt sich dennoch in geraffter Form ein Entwicklungsstrang nachzeichnen, der uns der Annäherung an die soziale Basis der nationalistischen Ideologien Ende der 1980er Jahre ein Stück weiter bringt. Anfang der 1970er Jahre, als Reaktion sowohl auf die ökonomischen Liberalisierungsprozesse in Jugoslawien, den Wirtschaftsnationalismus der Parteiführungen in Slowenien und Kroatien, aber auch die linke Kritik an diesen Prozessen, verfasste der Philosoph Milan Kangrga in der damals wichtigen Zeitschrift Praxis einen Text unter dem Titel «Phänomenologie des ideologisch-politischen Auftretens der jugoslawischen Mittelklasse». In diesem Text liefert Kangrga einen, wie die unmittelbaren Reaktionen der Parteiführung, aber eben auch die längerfristigen gesellschaftspolitischen Prozesse zeigen werden, durchschlagenden Beitrag zur Analyse der ideologischen Konstitution dieser neuen Mittel- oder Bürgerklasse. Sein Urteil war, dass die im Entstehen begriffene jugoslawische Mittelklasse dabei sei, den Bund der Kommunisten vollkommen zu infiltrieren, sie den sozialistischen Inhalt und Horizont der revolutionären Ereignisse zwischen 1941 und 1945 dementsprechend ablegen und eine bürgerliche Umdeutung vornehmen werde. Dieser Prozess, wie neuere Untersuchungen eindrucksvoll zeigen, war aber direktes Resultat der Parteipolitik selbst, der Aufbau nationaler Politik- und Wirtschaftseliten in den jugoslawischen Teilrepubliken direkte Folge der mit der Verfassung von 1974 bezweckten Schwächung des jugoslawischen Zentralstaats.

Die Ereignisse sollten diese Analyse überwiegend bestätigen. Der Bund der Kommunisten entfernte sich immer mehr von den Prinzipien der sozialen Revolution, die internationalen Wirtschaftskrisen destabilisierten die Ökonomie und gefährdeten zusehends den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung, während die führenden politischen Persönlichkeiten sich immer mehr aus dem Reservoir der nationalen Republikbürokratien speisten. Slobodan Milošević beispielsweise war, anders als es einige Linke nicht nur in der Bundesrepublik weiterhin denken, alles andere als ein überzeugter Kommunist, Sozialist oder selbst im weitesten Sinne linker Politiker. Vor seiner politischen Karriere, die richtig erst ab Mitte der 1980er begann, war er Bankmanager, Angehöriger also einer vom jugoslawischen System hervorgebrachten Fachelite, und er leitete Ende der 1970er Jahre die Filiale der Beobank in New York. Auch zog er seinen politischen Nutzen aus den immer aggressiver vorgetragenen nationalistischen Wortmeldungen aus dem Umkreis serbischer Intellektuellenzirkel, allen voran der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste und ihrem Mitte der 1980er Jahre veröffentlichten «Memorandum», in welchem sie die wirtschaftliche Ausbeutung Serbiens und eine allgemeine antiserbische Politik in Jugoslawien auszumachen meinten.

Auf kroatischer Seite gehörten die Protagonisten des 1970 noch abgewehrten Wirtschaftsnationalismus zu den ideologischen Wegbereitern der 1989 gegründeten HDZ, deren ausgeprägter Antikommunismus die durchgreifende wirtschaftsliberale Umgestaltung Kroatiens ab 1991 nicht nur ermöglichte, sondern eben auch mit einer nationalistischen Rhetorik ideologisch verdeckte.

Krieg, Zerstörung, Enteignung

Den Kriegen in Jugoslawien fielen zwischen 1991 und 2001 Schätzungen zufolge nahezu 100.000 Menschen zum Opfer. Aggressoren und Opfer wechselten sich ab, alle Kriegsparteien schürten Angst und Schrecken innerhalb der Zivilbevölkerung, und zwar stets unter dem Deckmantel der Verteidigung nationaler Interessen. Die Farce, die während der Haager Kriegsprozesse beobachtet werden konnte und ihren bisherigen Höhepunkt im Selbstmord des Kriegsverbrechers Slobodan Praljak fand, zeigte zumindest der aufmerksamen Öffentlichkeit, wie wenig der Krieg mit der Bevölkerung zu tun hatte, dafür aber wie sehr er das Projekt nationaler Eliten war, denen der Krieg eine enorme Profitrate bescherte. Die ökonomische Devastierung der Region ist nicht nur das direkte Resultat der Kriegsverwüstungen, sie ist auch Folge eines Enteignungsprozesses, der parallel zum Krieg verlief. Ehemals gesellschaftliches Eigentum wurde massenhaft und an der Bevölkerung vorbei verstaatlicht, um es danach für weit unter Wert entweder an politische und ideologische Verbündete, oder an ausländische «Investoren» zu veräußern. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Privatisierungen waren und sind dabei verheerend, mit Ausnahme von Slowenien gehören die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken zu den schwächsten Ökonomien Europas.

Zum Autor: Krunoslav Stojaković ist Historiker und leitet das Belgrader Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Weiterführende Literatur:

  • Darko Suvin (2016): Splendour, Misery, and Possibilities: An X-Ray of Socialist Yugoslavia. Leiden: Brill.
  • Marie-Janine Calic (2016): Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck.
  • Yugoslav Labor in Transition: The Case of Borovo”, skup Socijalizam na klupi - Socijalizam: izgradnja i razgradnja, Pula, 1.-3.10.2015.
  • Nenad Stefanov (2011): Wissenschaft als nationaler Beruf. Die Serbische Akademie der Wissenschaften 1944-1992: Tradierung und Modifizierung nationaler Ideologie, Wiesbaden: Harrasowitz Verlag.

Zur politischen Ökonomie im ehemaligen Jugoslawien seit 2000

Von Toni Prug

Die Entwicklungsprobleme der ehemals jugoslawischen Teilrepubliken in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben eine lange Vorgeschichte. Der kollektive Versuch des sozialistischen Jugoslawien, dem Schicksal der europäischen Peripherie, und damit einhergehend der (ökonomischen) Unterentwicklung, zu entkommen, führte in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten zu einem rasanten Aufholprozess. Jugoslawien sah sich dennoch in den 1980er Jahren vor schier unüberwindbare Hindernisse gestellt, ablesbar an einer chronischen Verschuldung, Arbeitslosigkeit, Hyperinflation und IWF-Krediten, die von strengen Sparmaßnahmen und sehr ungünstigen Umschuldungsauflagen begleitet wurden. Die Folge war ein Niedergang des Lebensstandards der, gefolgt von einer Streikwelle, die Bedingungen für den später folgenden nationalistischen Aufstieg und die Bürgerkriege schuf.

Ökonomische Voraussetzungen und europäische Peripherie

Die einzelnen Republiken unterschieden sich dabei signifikant im Potential ihrer zukünftigen sozio-ökonomischen Entwicklung. Insbesondere Slowenien, aber auch Kroatien und bis zu einem gewissen Grad Serbien waren, aufgrund ihrer technisch fortschrittlicheren Industrien und Exportstrukturen, im Vorteil. Dennoch, und losgelöst von der Tatsache, dass sie in vielen Aspekten das nationalistische und antisozialistische Narrativ teilen, waren und sind alle Republiken auch gemeinsame Erben der wirtschaftlichen Gesamtlage Jugoslawiens. Diese anhaltende periphere Position ist auch einer derjenigen Gründe,der ihre gegenwärtige sozioökonomische Entwicklung behindert.

Zur politischen Ökonomie im ehemaligen Jugoslawien seit 2000
Illustration: Vuk Palibrk

Erstens, weil die Entwicklung peripherer und semi-periphererStaaten vom Zugang zu neuen Technologien aus den am weitesten fortgeschrittenen Industriestaaten abhängt: generell, um eigene Industrien zu entwickeln;intern, um den Lebensstandard anzuheben;extern, um auf den internationalen Märkten zu konkurrieren, und um Devisen einzunehmenmit denen wiederum Hochtechnologie eingekauft werden kann. Ein Teufelskreis, dem in den letzten anderthalb Jahrhunderten nur wenige Länder zu entkommen in der Lage waren. Während das sozialistische Jugoslawien diesem Teufelskreis durch eine Kombination von Eigenproduktion und Exportorientierung, und der Errichtung eines neuen internationalen Marktes im Rahmen der Blockfreien-Bewegung, zu entkommen trachtete, wurde die neoliberale Entwicklungsformel, vom Zentrum aggressiv in die Peripherie getrieben, von den neu geschaffenen Staaten umstandslos akzeptiert.

Der unumstößliche Imperativ war, die Magie der kapitalistischen Märkte wirken zu lassen. Die Länder wurden aufgefordert, ihre Volkswirtschaften und Bevölkerungen zu öffnen, staats- und volkseigene Unternehmen und andere Ressourcen zu privatisieren, um sie wettbewerbsfähiger zu machen, öffentliche Ausgaben zu kürzen, um Haushaltsüberschüsse zu erzielen, sowieinterne Abwertungen vorzunehmen um eine langfristige, schrittweise Senkung der Reallöhne zu erreichen. Abgesehen von Slowenien, das, in einem gewissen Ausmaß und auch nur für einen bestimmten Zeitraum, einen graduellen Ansatz verfolgte und die Privatisierung von Banken und staatlichen Unternehmen verzögerte, widersetzte sich kein anderer Staat in der Region diesem neoliberalen Entwicklungsszenario.

Zweitens, weil das Scheitern des sozialistischen Jugoslawien, das Formen von Planung und Märkten kombiniert hatte, zusammen mit den nachfolgenden Kriegen zwischen den Nachfolgestaaten den dominanten Diskurs geprägtund die zukünftige Ausrichtungund Perspektive derStaats- und Wirtschaftspolitik bestimmt hat. [1] Dies beeinflusste schließlich auch das dritte Element, den anhaltenden Mangel an politischem Willen, eine alternative sozio-ökonomische Strategie zum neoliberalen Modell zu entwickeln. Eine Alternative, die die notwendige entwicklungspolitische Rolle des Staates erfassen würde, und sowohl die Ausbildung professionellen Personals als auch eines angemessenen institutionellen Rahmens ermöglichen würde. Beides Notwendigkeiten, um eine diversifizierte Wirtschaft wie in entwickelten Ökonomien anzuschieben.

Neoliberalismus als dominante Wirtschaftsstrategie

Hoch problematisch, in den postjugoslawischen Ländern jedochkaum diskutiert, stellt das angebotene neoliberale Modell aberdas Gegenteil jenes Entwicklungsmodells dar, dessen sich die reichsten Länder selbst bedient haben: einer intensivenStaatsbeteiligung, die (nur unter einem anderen Namen) enorme Subventionen vorsah, Importzölle zum Schutz einheimischer Industrien, strategisch ausgewählte bilaterale und multilaterale Vereinbarungen, Schaffung neuer Märkte, fiskal- und geldpolitische Maßnahmen zur Förderung eigener Produktionskapazitäten und eine allmähliche Erhöhung der Reallöhne in Verbindung mit dem Ausbau öffentlicher Dienstleistungen, die die Binnennachfrage belebten.

Dieser neoliberale Cocktail, das zeigen die vergangene zwei Jahrzehnte, war für die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken tödlich. Die Privatisierung wurde von den lokalen Eliten als Deckmantelbenutzt, um in den Besitz von Unternehmen und Vermögenswerten zu gelangen, zumeist ohne jegliche Absicht, die Produktion – ungeachtet des vorhandenen Marktpotentials – fortzusetzen. Internationale Investorensicherten sich die attraktivsten Unternehmen, verlagerten die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen häufig in ihre Heimatländer, und drängten die neu erstandenen Unternehmen in regionale Verkaufs- und Marketingfilialen. Der heimische Lebensmittelhandel wurde nach und nach von den marktbeherrschenden EU-Nahrungsmittelketten übernommen, wobei importierte Lebensmittel die heimische Produktion in den Supermarktregalen ersetzten.

In Kroatien wurden Banken refinanziert und umstrukturiert, nur um – wie künftige Transaktionen zeigen sollten – für den Bruchteil ihres Wertes verkauft zu werden. Einmal im ausländischen Besitz, zeigten sie wenig Anstrengungen, die lokale Produktion zu bedienen. Stattdessen weiteten sie das Angebot privater Haushaltskredite aus, was wiederum die Nachfrage nach importierten Konsumgütern erhöhte, die in einem neu entwickelten Netz von Einkaufszentren verkauft wurden.

Die ausländischen Banken erzeugten somit eine zusätzliche Nachfrage nach Produkten ihrer heimischen Unternehmen, diese dehnten ihre Exporte aus und unterdrückten indirekt die produktiven und technologischen Fähigkeiten der Importländer. Eine strikte Geldpolitik der kroatischen Zentralbank etwa unterstützte diesen Prozess: die Bindung an den Euro wird unter allen Umständen und anhand eines hohen Abzinsungssatzes aufrechterhalten, selbst um der Gefahr willen, die Kreditvergabe in der lokalen Währung zu bremsen. All dies drückt die Liquidität, die Kreditvergabe an Unternehmen wird kostspieliger,die«Euroisierung»ebenso wie die Integration in den EU-Markt werden forciert. Die übriggebliebenen kroatischen Produzenten sind in einem solchen Umfeld nicht konkurrenzfähig.

Beispiel: Textilindustrie in Serbien

Seit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens über Textilprodukte mit der EU im Jahr 2005, wurde die serbische Textilindustrie schrittweise zum Fließband für ausländische Produzenten degradiert. Die Konsequenz ist ein Niedergang der nachgefragten Qualifikationen der Arbeitskräfte und der Produktionskapazitäten, als auch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Der Versuch, sich im Wettrennen nach unten zu behaupten, die Kombination von Freihandelszonen mit niedrigeren Unternehmenssteuern, Steuererleichterungen und Subventionen für neue Arbeitsplätze, führte zu einer Zunahme niedriger Löhne, diedie Lebenshaltungskosten nicht decken können, gleichzeitig aber die tatsächlichen Produktionskostenverschleiern.

Dies ist Teil eines umfassenderen Prozesses des globalen Outsorcings, also der Verlagerung von Produktionsstätten, die lediglich gering qualifizierte Arbeitskräfte benötigen –hauptsächlich im Bereich der Montage –in die Nähe des Herkunftslandes des Unternehmens. Geringere Transportkosten, kürzere Lieferzeiten, und all dies zu Löhnen, die in manchen Fällen niedriger sind als in Teilen Chinas, wohin die Produktion ursprünglich ausgelagert worden war, haben einige osteuropäische Länder zu europäischen Sweatshops werden lassen.

Ausländische Direktinvestitionen und wachsende Armut

Die Zunahme von Armut, materieller Entbehrung und der daraus resultierenden Abwanderung der arbeitenden Bevölkerung haben die Region hart getroffen. Seit dem EU-Beitritt hat sich diese Entwicklung in Kroatien sogar beschleunigt. Unternehmen aus Staaten des europäischen Zentrums bieten inzwischen nicht nur an kroatischen Universitäten Auslandskarrieren an, selbst in den Sekundarstufen werden Jugendliche, sobald ihre öffentlich finanzierte Ausbildung endet, von Personalvermittlern abgeworben.

In allen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken kam es zu einer De-Industrialisierung und Abnahme der Produktionskapazitäten, wodurch der Anteil der Sektoren mit geringer Wertschöpfung – etwa Tourismus und die Montage von Importprodukten – anstieg. Einen Niedergang erfuhren hingegen technologische, wissensbasierte Produktionssektoren mit höherer Wertschöpfung. Ausländische Direktinvestitionen und Privatisierungen verstärken diese negativen Prozesse, da sie vorwiegend in Sektoren stattfinden, deren Produkte nicht exportiert werden können, das Empfängerland nicht über die Fähigkeit verfügt, fortschrittliche Produktionstechniken zu absorbieren und wiederzuverwenden, unddie Arbeitskräfte lediglich Zwischenprodukte mit geringem Mehrwert in externen Produktionen wie der Textilherstellung herstellen. Entgegen den Vorhersagen und Erwartungen, bleibt dersozio-ökonomische Entwicklungsunterschied der Region zum EU-Durchschnitt bestehen, ohne Anzeichen dafür, dass dieser Trend umgekehrt werden könnte.

[1] Der Charakter der eingeleiteten Wirtschaftsreformen und des jugoslawischen Wirtschaftssystems ist Gegenstand anhaltender Debatten. Die hier vorgenommene Qualifikation bildet keine Konsensmeinung ab, sondern lediglich die Einschätzung des Autors.

Zum Autor: Toni Prug ist Ökonom und lebt in Zagreb.

WeiterführendeLiteratur:

  • Ivan Radenković (2016):Foreign Direct Investments in Serbia. Belgrade: Research Paper Series No. 6 of Rosa-Luxemburg-Stiftung Southeast Europe.
  • Bojana Tamindžija/Stefan Aleksić (2017): Länderbericht Serbien. Herausgegeben von Clean Clothes Campaign – Entwicklungspolitisches Netzwerk Sachsen e.V. in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Southeast Europe.

Der Neuaufbau der Linken im postjugoslawischen Raum

Von Igor Štiks

Der Beginn des Aufbaus einer «Neuen Linken» im ehemaligen Jugoslawien kann auf die Finanzkrise von 2008 datiert werden. Diese Krise hat, nach zwei Jahrzehnten ideologischer Hegemonie neoliberaler und rechtsradikaler politischer Akteure,langsam aber kontinuierlich den Raum für eine öffentliche Artikulation antikapitalistischer Kritik im postsozialistischen Balkan eröffnet.

Wie können wir die «Neue Linke» aber beschreiben?

Die postjugoslawische «Neue Linke»ist kritisch gegenüber dem bestehendenParlamentarismus, sie tritt mehrheitlich für eine direkte, partizipatorische und horizontale Demokratie ein. Sie artikuliert Kritik an der sogenannten postsozialistischen «Transition», die zu enormen Ungleichheiten und massiver Arbeitslosigkeit und Armut geführt hat, und weiterhin führt. Sie stellt sich gegen die dominierende konservative, religiöse, patriarchalische und nationalistischeIdeologie. Sie verteidigt gemeinsame und öffentliche Güter, einschließlich der natürlichen Ressourcen, und sie verteidigt die Überreste des sozialistischen Wohlfahrtsstaates gegen die fortschreitende Privatisierung und Ausbeutung. Schließlich vertritt sie einen internationalistischen, d.h. antinationalistischen und antifaschistischen Ansatz für den postjugoslawischen Raum, aber auch für die gesamte Balkanregion.

Der Neuaufbau der Linken im postjugoslawischen Raum
Illustration: škart

Privatisierungen, Korruption, Armut, Vernachlässigung oder Zerstörung von öffentlichen Gütern – all diese Themenbeschäftigen auch weiterhin die öffentliche Meinung, was zu teilweise massiven Mobilisierungengeführt hat. In den letzten zehn Jahren sind mehrmals spontane Bewegungen gegen die grassierende soziale Ungerechtigkeit und konkrete Regierungspolitiken entstanden. Diese Bewegungen drückten ihre Empörung aus, ohne notwendigerweise eine artikulierte linke Agenda zu besitzen.Die Radikalisierung von Teilen der Demonstrant_innen sowie von Teilen der Öffentlichkeit hat dazu beigetragen, dass linksgerichtete Organisationen, Gruppen, Medien, Versammlungen, ja sogar Parteien entstanden sind. Innerhalb und durch diese multiplen Kämpfe entwickelt sich auch die «Neue Linke». Straßenproteste

Anfang 2011 sind z.B. in Kroatien bis zu 10.000 Menschen, die meisten über Facebook mobilisiert, gegen die damalige Regierung auf die Straße gegangen.Dieser Protestmarsch wurde einen ganzen Monat lang jeden Abend wiederholt. Im November und Dezember 2012 protestierten in der slowenischen Stadt Maribor tausende gegen ihren korrupten Bürgermeister. Die größten und radikalsten Proteste fanden jedoch im Februar 2014 in Bosnien-Herzegowina statt. In der Stadt Tuzla schlossen sich Arbeiter_innen der lokalen Waschmittel- und Möbelindustrie, die seit Monaten kein Gehalt ausgezahlt bekommen hatten, mit Studenten, Arbeitslosen und unzufriedenen Bürgern zusammen. Die Proteste wuchsen rasch an und verwandelten sich in gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei; bald wurde auch das Gebäude der örtlichen Kantonalregierung in Brand gesetzt. Am nächsten Tag breiteten sich die Proteste auf weitere Großstädte aus, darunter auch die Hauptstadt Sarajevo, wo das Rathaus und derSitz des Staatspräsidenten in Brand gesetzt wurden. Sowohl in Groß- als auch in Kleinstädten organisierten sich die Demonstrierendenin sogenannten Plenen, ein Akt der Selbstorganisation von Bürger_innen, die mehrere Monate anhielt.

Der Kampf um Commons

Der freie Zugang zum öffentlichen Raum ‒ Plätze, Parks, Straßen und Gebäude ‒betrifftgroße Teile der Gesellschaft, und löst dementsprechend auch emotionale und politische Reaktionen aus. Aus Opposition gegen ein großes Stadtentwicklungsprojekt in der Zagreber Fußgängerzone [Varšavska ulica] und einem der am meisten frequentierten Innenstadtplätze [Cvjetni trg], gründete sich die Bewegung «Recht uf Stadt»[Pravo na grad].Die Protestierenden prangerten Korruption, Gentrifizierung und Einzäunungen, sowie den Zusammenhang zwischen Privatkapital und Stadtregierung an. In der Stadt Banja Luka in Bosnien-Herzegowina entwickelte sich 2012 eine ähnliche Bewegung gegen die Zerstörung und Umwandlung eines beliebten Parks [Picin Park] in eine Wohnanlage.

Ähnliche Szenarien konnten auch in Belgrad beobachtet werden, wo örtliche Aktivist_innen unter dem Slogan «Wir lassen Belgrad nicht absaufen/Wir geben Belgrad nicht her»[Ne da(vi)mo Beograd]seit Jahren versuchen, die Durchsetzung des Megaprojektes «BelgradeWaterfront» zu verhindern. Das Projekt wird politisch und finanziell von der serbischen Regierung unterstützt,umfasst ein riesiges Gebiet um das innenstadtnahe Save-Ufer, und beinhaltet den Bau luxuriöser Wohnungen, einer Shopping-Mall, einem Kasino etc. Dieses undurchsichtige Projekt, von einer Reihe Unregelmäßigkeiten und illegalerMachenschaften begleitet, provozierte einen breiten öffentlichenWiderstand und Massenproteste auf Belgrads Straßen. Belgrader Aktivist_innen und Künstler_innen protestierten inden Jahren 2014 und 2015 auch gegen die Zerstörung öffentlicher Plätze und die Marginalisierung von Kunst und Kultur, beispielhaft etwa durch die Okkupation des privatisierten und stillgelegten KinosZvezda.

Auf sehr ähnliche Art und Weise bildeten sich auch mehrere Basisinitiativen gegen die Zerstörung natürlicher Ressourcen. Die Bewegung «Srđgehört uns»[Srđ je naš] aus Dubrovnik versuchte 2010/13, die Privatisierung von Teilen des Hügels «Srđ» über Dubrovnik und seine Umfunktionierung zu einem elitären Golfplatz zu verhindern. Dem während der Proteste von 2014 in Bosnien-Herzegowina gebildetem Aktivist_innen-Netzwerk «Bosnischer Frühling» in der Stadt Bihać gelang es, die kommerzielle Ausbeutung des Flusses Una zu verhindern. Diese und weitere, ähnliche lokale Initiativen wenden sich gegen den angekündigten Bau von hunderten kleinerStaudämmeauf den Flüssen der gesamten Region.

Der Kampf um Bildung

Die wohl wichtigste Bewegung für die «Neuen Linke» ist jedoch mit dem Widerstand gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung des Hochschulwesens verbunden. In Verteidigung des allgemeinen und kostenlosen Bildungszugangs, entwickelten sich in fast allen post-jugoslawischen Staaten starke Studentenbewegungen, die mit Formen direkter Demokratie experimentierten.Ein bedeutendes Ereignis diesbezüglich war die Besetzung von Universitäten in Kroatien im April und November 2009, wo studentische Plenen als allgemeine Versammlungen von Student_innen, Professor_innen und Bürger_innen gebildet wurden. Die Besetzungenformten sowohl die politischen als auch organisatorischen Instrumente für diekommenden Studentenkämpfe in der Region. Ähnliche Fakultätsbesetzungen fanden 2011 in Ljubljana, 2011 und 2014 in Belgrad und schließlich 2014-2015 in Mazedonien statt. Studentenproteste haben auch in Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kosovo stattgefunden.

Der Kampf um Arbeit

Auch eine neue Phase des Arbeiter_innen-Aktivismus kann im letzten Jahrzehnt beobachtet werden, einige Arbeiterinitiativen taten sich mit den Studenten- und Stadtbewegungen, linken Gruppen, prominenten Einzelpersonen, Künstler_innen und Intellektuellen zusammen. Die Arbeiter_innen einiger privatisierter oder bankrotter Firmen und Fabriken protestierten öffentlich, um die Öffentlichkeit auf ihre Probleme aufmerksam zu machen.

Dies war etwa Fall mit den Arbeiterinnen der Zagreber Textilfabrik Kamensko und denArbeiter_innen der im bosnisch-herzegowinischen Tuzla beheimateten Waschmittelfabrik Dita. Während die Kamensko-Arbeiterinnen bei ihren Versuchen, ihre Arbeitsplätze zurückzugewinnen, erfolglos blieben, gelang es den Dita-Arbeiter_innen, die Produktionsmaschinen zu erhalten, die Gerichte zum Handeln zu bewegen und die Produktion im Sommer 2015 wieder aufzunehmen.

In Nordkroatien besetzten die Arbeiter_innen von Itas-Prvomajska ihre bankrotte Fabrik, nahmen die Produktion selbständig wieder auf und experimentierten mit Elementen von Selbstverwaltung und direkter Arbeiterkontrolle. In anderen Fällen, wie der Petrochemie-Fabrik im kroatischen Kutina, kämpfen die dortigen Arbeiter-innen darum, den Staat als Mehrheitseigentümer zu erhalten. In Serbien hingegen mussten Arbeiter_innen des Pharmaunternehmens Jugoremedija aus dem nordserbischen Zrenjanin viele Schlachten schlagen, auch gegen die Polizei, um einen völlig korrupten Privatisierungsprozess zu verhindern.

Wahlen und Wahlkämpfe

Die Umwandlung dieser oft kurzlebigen, wenn auch teilweise spektakulären Bewegungen in politische Parteien und erfolgreiche Wahlkampagnen war bisher nur in Slowenien erfolgreich. Die Partei Levica, inspiriert vor allemdurchSyriza, wurde 2017 aus zwei kleineren linken Initiativen und Parteien gebildet. Bei den Europawahlen im Jahr 2014 gewann sie, damals noch unter dem Namen «Vereinigte Linke»[Združena levica], bereits 5,5% der Stimmen (jedoch nicht genug, um ins Europäische Parlament einzuziehen), aber ein paar Monate später erzielte sie bei den slowenischen Parlamentswahlen 6% und somit 6 Parlamentssitze. Bei den Wahlen im Jahr 2018 war das Ergebnis sogar noch besser: sie gewann 9,33% der Stimmen, gleichbedeutendmit9 Sitzen. Besonders gut schnitt Levica in der Hauptstadt Ljubljana und anderen urbanen Zentren ab.

Einige linke Akteure mobilisieren vornehmlich auf kommunaler Ebene. Bei den Kommunalwahlen in Zagreb im Jahr 2017 erzielte die links-grünePlattformZagreb je naš[Zagreb ist unsers] 7,56% und trat mit 4 Sitzen in das Kommunalparlament ein. Ein ähnlicher Versuch bei den Belgrader Wahlen im Jahr 2018 durch die Initiative Ne da(vi)mo Beograderreichte erstaunliche 3,44%, scheiterte jedoch an der 5%-Hürde.

Erfolge und Niederlagen der postjugoslawischen Linken

Seit 2008 sind die Akteure der «Neuen Linken» definitiv in die politischen und sozialenAuseinandersetzungen der postjugoslawischen Gesellschaften eingetreten. Wo sich verschiedene Akteure, wie etwa im Februar 2014 in Tuzla, zusammenschlossen, war das Ergebnis durchaus beeindruckend und führte zu Friktionen innerhalb des dominanten politischen Mainstreams. Die «Neue Linke» hat die nationalistische, konservative und neoliberale Hegemonie herausgefordert und über ihre eigenen Organisationsstrukturen, linke Medien, Festivals und öffentliche Versammlungen einen Raum für die öffentliche Präsenz linker Ideen geschaffen.

Es gab und gibt jedoch auch viele Fehler. Die single-issue-Kämpfe sind nicht unbedingt miteinander verbunden. Städtische Initiativen sind nicht immer an Arbeiterkämpfen interessiert, während Studenten und Professoren häufig nicht über den Wissenschaftsbereich hinausgehen. Die Versuche, eine nachhaltige und breitere Bewegung oder stärkere politische Linksparteien zu bilden, die die etablierten politischen Organistionen und Strukturen herausfordern, oder die kommunale, regionale und staatliche Politik beeinflussen könnten, haben sich bisher, außer in Slowenien, als erfolglos erwiesen.

Kurz gesagt, die «Neue Linke» schaffte einen überraschenden Durchbruch in einer Region, die geprägt war (und ist) vom schweren Erbe des besiegten Sozialismus, dem Zerfall Jugoslawiens, zerstörerischen Bürgerkriegen und einer harten kapitalistischen «Transition». Wie anderswo auch,kann die Linkezu einer wichtigen politischen Kraft werden, vorausgesetzt sie lässtinterne Rivalitäten hinter sich und beginnt, die Voraussetzungen für eine Zukunft zu schaffen, die gemäß ihren proklamierten Idealen demokratisch und sozialistisch gestaltet ist.

Zum Autor: Igor Štiks ist Politologe, Schriftsteller und Aktivist und lebt in Belgrad.

Weiterführende Literatur:

  • Ana Veselinović (2018): Und wo ist die Politik geblieben? Die Wahlen in Belgrad im Zeichen des Kultes um Aleksandar Vučić, abrufbar online unter: https://www.rosalux.rs/bhs/node/1251
  • Luka Matić (2018): Democratic Socialists Advance in Slovenia, abrufbar online unter: https://www.rosalux.rs/en/democratic-socialists-advance-slovenia
  • Krunoslav Stojaković (2018): Nationalismus, Kapitalismus und die Krise der Repräsentation. Bemerkungen zu den Wahlen in Bosnien-Herzegowina, abrufbar online unter: https://adamag.de/bosnien-herzegowina-parlamentswahl-balkan-demokratiekrise
  • Igor Štiks/Srećko Horvat (2014): Welcome to the Desert of Post-Socialism. Radical Politics After Yugoslavia. London/New York: Verso.
  • Vedrana Bibić/Andrea Milat/Srećko Horvat/Igor Štiks (2013): The Balkan Forum. Situations, Struggles, Strategies. Zagreb/Beograd: Bijeli val & Rosa-Luxemburg-Stiftung Southeast Europe.

Und nach Jugoslawien, Jugoslawien!

Von Milica Popović

Über welches Jugoslawien sprechen wir überhaupt? Es existierten zwei solche Staatengebilde. Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen entstand 1918 und wurde 1929 in Königreich Jugoslawien umbenannt. 1943 wurde das Demokratische Föderative Jugoslawien/die Föderative Volksrepublik Jugoslawien gegründet, beziehungsweise ab 1963 die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. Aber, Jugoslawien ist nicht nur der Name dieser Staatengebilde, international anerkannter Grenzen irgendwelcher imaginärer Gemeinschaften erdachter Traditionen, noch ist er die Antithese zu geschickt aufgenötigten ethno-nationalistischen Identitäten, die dem Zerfall des Staates dienten.

In vielen Fällen machen dieselben Akteure, die am Zerfall Jugoslawiens vor über 30 Jahren mitgewirkt haben, heute die anti-jugoslawische Haltung zum Angelpunkt ihrer Ideologie. Dieser in der Hauptsache anti-kommunistische Diskurs konnte nicht ohne die Auslöschung Jugoslawiens etabliert werden: geografisch, politisch, physisch und gedanklich. Über Jahrzehnte hinweg wurde es aus dem öffentlichen Raum ausgemerzt – Namen von Städten, Straßen, Plätzen und allem, was an die sozialistische Periode erinnern könnte, wurden und werden geändert. Das künstlerische und kulturelle Erbe wird durch den Verfall und die Vernichtung von Denkmälern buchstäblich verwüstet; Denkmäler werden allerdings seit Kurzem als touristische Sehenswürdigkeiten kommerzialisiert und als eine Art Ausnahmephänomen vorgestellt, sie werden aus ihrem Kontext gerissen und ihrer geschichtlichen und ideologischen Bedeutung beraubt. Museen, die institutionellen Akteure der Meta-Narrative, wagen meist nur eine oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Alltagsleben und stellen Artefakte aus der sozialistischen Zeit als eine Art wunderliches archäologisches Fundstück dar, das uns eventuell belustigen, aber in keiner Weise erklären kann, was Sozialismus ist und was Jugoslawien für die jugoslawischen Völker bedeutet hat.

Und nach Jugoslawien, Jugoslawien!
Illustration: škart

Es ist eine kontinuierliche Revision der Geschichte im Gange, die nicht davor zurückschreckt, dass antifaschistische Erbe auszulöschen und faschistoide Kollaborationsbewegungen zu rehabilitieren, die heute im Aufwind sind und Rechte abschaffen, und von denen wir dachten, sie wären seit langem erkämpft. Schulbücher vermitteln eine andere Geschichte, die sich völlig von dem unterscheidet, was einmal als gemeinsame Geschichte galt. Die scheinbar sich feindlich gegenüberstehenden nationalistischen neoliberalen politischen Eliten in den post-jugoslawischen Republiken sind sich in der Bemühung einig, Jugoslawien, das sozialistische Erbe und anti-nationalistischen Identitäten für immer auszuradieren. Trotz allem entsteht eine Gegen-Erinnerung in solchen Räumen, die sich den hegemonialen Narrativen entgegenstellen. Obwohl in den Medien, und seit kurzem auch in der Wissenschaft, oft als banale Nostalgie ohne subversives oder politisches Potential dargestellt, hält sich die Gegen-Erinnerung hartnäckig im gesamten (post)-jugoslawischen Raum. Tatsächlich haben die verschiedensten Artefakte aus der sozialistischen jugoslawischen Zeit in den Haushalten überdauert; Titos Porträts und Büsten stehen weiterhin in den Vitrinen; jugoslawische Karten und Fahnen sind höchstens auf die Speicher gebracht; Pioniermützen und -tücher riechen nach Kindheit; öffentlich oder versteckt werden zahlreiche Paraphernalien als Erinnerung an den einstigen Raum ohne Grenzen aufbewahrt. Mit Bezug auf ihn werden trotz unterschiedlicher Sprachen, Dialekte und Mundarten die gleichen popkulturellen Referenzen auf Filme, Literatur und Musik gezogen; dieselben Witze werden erzählt. Der Profit etabliert natürlich umfassend und erfolgreich seine jetzt privilegierte Position – Nostalgie verkauft sich in Cafés, Bars und Souvenirläden. So wie Jugoslawien ausverkauft worden ist, verkauft man jetzt die Erinnerung daran, und zusätzlich wird auf diese Weise versucht, jede Möglichkeit eines ernsthaften Widerstandes gegen die Gegenwart zu befrieden.

Einstige Staatsfeiertage, der 25. Mai – Tag der Jugend – oder der 29. November – Tag der Republik – dienen kleineren, in der Regel marginalen Gruppen (einstiger) Jugoslawen, um sich zu versammeln, und den Medien dazu, das Phänomen einmal mehr klischeehaft darzustellen – Jugonostalgiker werden heute zu den Verlierern der Transition gezählt; Menschen, die von der Zeit überholt wurden; Subjekte ohne politische Identität; Mitglieder jener «kindischen post-kommunistischen Masse».

Jeder Diskurs – egal ob persönlich, wissenschaftlich, künstlerisch oder politisch – der versucht, die jugoslawische Vergangenheit und Gegenwart zu durchdenken, wird als nostalgisch bezeichnet. Aber was sollte diese Jugonostalgie sein? Anders für jede Generation, Klasse, Geschlecht; je nach Aufenthaltsort, Geburtsort, Ort der Umsiedlung. Vermeidet man die instrumentalisierte Banalisierung, die einzig und allein dem hegemonialen, nationalistisch-neoliberalen Narrativ nützt, verbirgt das Phänomen, das heute Jugonostalgie genannt wird, viel mehr als das. So wie sie Boris Buden als «Retro-Utopie» bezeichnet, als neue Idee zur politischen Mobilisierung, stellt Jugonostalgie heute oft nur eine Bezeichnung dar, die versucht alles Jugoslawische zu diskreditieren.

Während die letzten Pioniere, die ihren Eid 1988 geschworen haben, heute den Rahmen der Generation bilden, die im öffentlichen Leben aktiv ist, verschwinden zunehmend die Generationen, die am Volksbefreiungskampf teilgenommen haben, und die Generationen, die nach dem Zerfall Jugoslawiens geboren wurden, erreichen langsam das Erwachsenenalter. All diese Generationen haben ihre eigenen Ansichten zu Jugoslawien. Die jugoslawischen Erinnerungen fordern keinen neuen jugoslawischen Staat; sie begreifen Jugoslawien weder als Utopie noch als Tyrannei; sie artikulieren sich vor allem als Strategien des Widerstands: gegen die Auslöschung der jugoslawischen Identität und gegen neue Nationalismen; gegen die neoliberale Politik, die die Mehrheit der jugoslawischen Bevölkerung an den Rand des Hungers gebracht hat. Das Gefühl des Verlusts ist allen neuen Republiken gemeinsam – der Verlust der Kontinuität der Identität und der Verlust der sozio-ökonomischen Position und Sicherheit. Das ist keine (post-)jugoslawische Besonderheit, denn die ganze Welt schlittert seit 30 Jahren in eine neoliberale Dystopie, und das Trauma der Konflikte bringt überall Fragen des Gemeinschaftlichen, unterbrochener persönlicher Biographien und der Geschichten der Grenzregionen auf.

Die jugonostalgischen «Erinnerungsknoten» gehen über die räumlichen Begrenzungen hinaus, sie schaffen eine neue Form des Jugoslawismus. Als unsichtbares Element des Alltagslebens, das auf unterschiedlichen Ebenen durchdringt – als meta-nationale Schicht der Identität, ist es kompatibel und in Übereinkunft mit anderen Identitäten und artikuliert mehr oder weniger klare politische Forderungen. Jugonostalgische Erinnerungen überschreiten die Grenzen der neuen Staaten. Der Jugoslawismus ist keine Forderung nach einem neuen Jugoslawien, denn es existiert nach wie vor. Jugonostalgie ist die Erinnerung an eine bessere Zukunft, und als solche eine Bedrohung für die Gegenwart.

Zur Autorin: Milica Popović ist Historikerin und lebt in Belgrad.

    Weiterführende Literatur:
  • Marie-Janine Calic (2010): Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck.
  • Boris Buden (2009): Zone des Übergangs. Vom Ende des Postkommunismus. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Impressum

Impressum

Rosa-Luxemburg-Stiftung
Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e. V.

Straße der Pariser Kommune 8A
10243 Berlin

Telefon: +49-(0)30-44310-0
Fax: +49-(0)30-44310230
E-Mail: info@rosalux.org
Internet: www.rosalux.de

Vertretungsberechtigter Vorstand: Dr. Florian Weis (Geschäftsführendes Mitglied des Vorstands der Rosa-Luxemburg-Stiftung)

Registergericht: Amtsgericht Charlottenburg, Registernummer 10802 B

USt.-IdNr.: DE307670544

Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 55 Abs. 2 RstV und ViSdP: Peter Ostholt, Adresse wie oben.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht zwingend die Meinung oder Position der Rosa-Luxemburg-Stiftung wieder.

Haftungshinweis:
Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.